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"Bunte Geschichte des Epplehauses"

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Epplehaus_in_T%C3%BCbingen.jpg
Das Epplehaus mit seiner auffälligen Fassade, Bild: Dktue [CC0].*

Jedem, der schon einmal in Tübingen den Weg zwischen Neckarbrücke und Bahnhof zurückgelegt hat, ist wahrscheinlich aufgefallen: das Epplehaus. Die meisten wissen, dass das bunte Haus an der Poststraße Ecke Karlstraße ein Jugendzentrum ist und regelmäßig ein buntes Veranstaltungsprogramm organisiert. Mindestens so spannend wie die auffallende Fassade ist aber auch die Geschichte des Epplehauses.

 

Tübingen vs. BRD: Unterschiede in der Hausbesetzerszene

Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre war in der Bundesrepublik und dementsprechend auch in Tübingen extremer Wohnungsmangel zu beklagen, obwohl es zugleich einen hohen Leerstand von Häusern gab. Verschärft wurde die ungünstige Wohnsituation zusätzlich durch den aufkommenden Wunsch Vieler nach autonomem und unabhängigem Leben, fern des vorgegeben Rasters. Dies motivierte in der Bundesrepublik viele linksalternative Jugendliche und Studenten, sich den Leerstand  zu Nutze zu machen, um dort autonom und ohne „Vorgaben“ der Gesellschaft in diversen Gemeinschaften leben zu können. Zur sowieso angespannten Lage in Tübingen kam hinzu, dass die Anzahl der Studierenden an der Universität Tübingen zu Beginn der 1970er Jahre deutlich anstieg.

 

Grund für die Besetzung des Hauses in der Karlstraße, des jetzigen Epplehauses, war aber ein ganz anderer: Die Besetzung war kein Produkt der in der restlichen Republik bekannten Hausbesetzerszene, sondern wurde vielmehr von der Jugendzentrumsbewegung der 1970er Jahre beeinflusst und vorangetrieben. Beide Bewegungen sind miteinander verwandt und waren intensiv vernetzt, was sich etwa an den nahezu identischen Handlungsmitteln zeigt – die Motive zur Besetzung von Häusern waren jedoch unterschiedlicher Natur. Die Jugendzentrumsbewegung wollte sich, wie auch das Beispiel des Epplehauses zeigt, von der kirchlichen oder staatlichen bzw. städtischen Aufsicht emanzipieren, um in Selbstverwaltung agieren zu können. Wie kam es also zur Entstehung des Epplehauses?

Ultimatum an die Stadt, Bild: epplehaus.de.*
Ultimatum an die Stadt, Bild: epplehaus.de.*

Der Streit um das Jugendhaus
In der Nacht vom 23. auf den 24. April 1972 brannte, aus bis heute ungeklärten Gründen, das Schwabenhaus nieder, in dem zu dieser Zeit ein offizielles Jugendhaus von Stadt und Landkreis beheimatet war. Vor dem Brand gab es einen Konflikt mit der Stadt Tübingen, die bereits 1968 das Schwabenhaus zugunsten eines neuen Geschäftshauses abreißen wollte. Dies scheiterte aber an einer Bürgerinitiative und Bedenken des Landesdenkmalamtes.
                                                                       
Die Tübinger Jugendlichen forderten von der Stadt Tübingen, aufgrund der für sie rätselhaft anmutenden Umstände, eine Aufklärung des Brandes sowie eine Alternative für das Schwabenhaus. Diese Forderungen wurden den Jugendlichen, obwohl die Stadt im Schwabenhaus bisher ganz offizielle Jugendarbeit geleistet hatte, nicht erfüllt. Daraufhin stellten die verärgerten Jugendlichen der Stadt ein Ultimatum. Auf die Frage nach neuen Räumlichkeiten bzw. einer Alternative für das abgebrannte ehemalige Jugendhaus antwortete der damalige parteilose Oberbürgermeister Tübingens, Hans Gmelin, im Schwäbischen Tagblatt in der Ausgabe vom 31. Mai 1972: „Es ist wohl nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, Jugendlichen ihr Tanzvergnügen zu finanzieren.“ Aufgrund der fehlenden Unterstützung der Stadt Tübingen, des damaligen Oberbürgermeisters und der Nichteinhaltung des Ultimatums kam es am 22. Juli 1972 zur Besetzung des leerstehenden Hauses in der Karlstraße 13. Mehrere 100 Jugendliche machten sich nach einem Konzert der linken Rockband „Ton Steine Scherben“, welche der Hausbesetzerszene nahestand, auf den Weg, um sich selbst das zu holen, was die Stadt Tübingen ihnen nicht zu Verfügung stellen wollte. 

Das Epplehaus am 23. Juli 1972, Bild: epplehaus.de.*
Das Epplehaus am 23. Juli 1972, Bild: epplehaus.de.*

Tragischer Namensgeber

Das Haus wurde von den Besetzern nach dem von der Polizei kurz vor der Besetzung erschossenen Richard Epple benannt.  Am 1. März 1972 war der Polizei in der Wilhelmstraße ein Auto aufgrund einer Verkehrswidrigkeit aufgefallen. Der Fahrer dieses Wagens war der damals noch 17-jährige Richard Epple – der unter leichtem Alkoholeinfluss stand. Nach einer Aufforderung der Streife, stehen zu bleiben, raste dieser los und lieferte sich mit der Polizei eine Verfolgungsjagd, bei der er eine Straßensperre durchbrach. Mit dieser Verfolgungsjagd unterschrieb Epple unwissend sein Todesurteil, da die Staatsmacht in dieser turbulenten und unruhigen – vom RAF-Terror geprägten – Zeit einen sehr unruhigen Finger am Abzug hatte. Die Polizei hielt ihn, ohne weitere Beweise zu haben, für einen flüchtigen RAF-Terroristen und stoppte Epple mit Waffengewalt. Aufgrund dieser Fehleinschätzung erlag Richard Epple noch im Auto seiner Eltern den durch Polizeikugeln verursachten Verletzungen.  

 

Die Besetzer begründeten die Namensgebung auf Flugblättern und Flyern mit folgendem Zitat: „Hier geht es nämlich nicht darum, dass Richard Epple ein ‚unbeschriebenes Blatt‘ war, sondern darum, auf welch fahrlässige Weise gerade von Staatsorganen mit Menschenleben umgesprungen wurde.“ Ab dem 23. Juli 1972 war nun das leerstehende Haus in der Karlstraße 13 das neu gegründete und selbsternannte Jugendhaus: das Epplehaus. Noch heute bezeichnet sich das Haus als „autonomes Jugendzentrum“ und begründet dies durch die Leitlinien „Selbstverwaltung, Plenum, Konsens und – damit einhergehend – durch den Anspruch der Hierarchiefreiheit“6. Seine bunte Fassade erhielt es 2006 bei einer Kunstaktion im Rahmen des Ract-Festivals.

 

                                              

Ein Beitrag von Carina Klara Moser, Johannes Thiede und Johannes Wiesner

Quellen zu diesem Text


*Bildquellen und Lizenzen:

Oberes Bild: (C) by Dktue [CC0], Page-URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Epplehaus_in_T%C3%BCbingen.jpg (externer Link, letzter Zugriff 06.09.2019)

Mittleres Bild: (C) https://www.epplehaus.de/ (externer Link, letzter Zugriff 06.09.2019). Mit Genehmigung des Epplehauses (durch Frederik Hruza).

Unteres Bild: (C) https://www.epplehaus.de/whats-epple/selbstverwaltung/ (externer Link, letzter Zugriff: 15.10.2019). Mit Genehmigung des Epplehauses (durch Frederik Hruza).

 

Ergänzende Literatur

- Schwäbisches Tagblatt vom 27.06.1972, vom 06.07. 1972 u. vom 19.06.2012, in: Tübinger Stadtarchiv, Sign. ZGS 66/Ka.

- Schewe, Egon: Selbstverwaltete Jugendzentren, Bielefeld 1980, S. 10, 13.

- TÜTE. Tübinger Termine, Sonderheft, vom Juni/Juli 1980, in: Infoladen Tübingen, S. 14.

- Neubauten, Siegfried: S. 52/53.

- Roth, Beton, S. 51.

- Reichhardt, Sven: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren. Berlin 22014 (gleichzeitig: Habilitationsschrift, Universität Konstanz 2010), u.a. S. 517.


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