Geschichtsklitterung: Der Mediziner Sauerbruch im Film (1954)


Unknown photographer, Public domain, via Wikimedia Commons.*
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Personen und Ereignisse der Medizingeschichte sind ein fester Bestandteil von Geschichtskultur. Während die Rolle verschiedenster Institutionen, wie z. B. die Rolle der Alten Anatomie in Tübingen im Kontext des Nationalsozialismus, noch aufgearbeitet wird, werden populäre, bereits existierende Narrative oft weniger kritisch hinterfragt. In ästhetisch ansprechenden Medien wie Serien und Filmen werden verschiedenste Darstellungen von historisch relevanten Persönlichkeiten breit rezipiert, obwohl deren Darstellung selbst sowie die Darstellung des historischen Kontexts oft problematisch ist. Ein Beispiel für einen solch populären und zugleich problematischen Film aus dem Bereich der Medizingeschichte handelt vom Leben des Mediziners Ferdinand Sauerbruch (1875–1951).

 

Biopics wie „Sauerbruch – Das war mein Leben“ (1954) leben davon, die Geschichte einer realen, oft berühmten, Persönlichkeit nachzuerzählen. Dabei steht jedoch vor allem der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund, was oft dazu führt, dass die reale Biografie verkürzt oder verzerrt dargestellt wird. Wie geht der Spielfilm über den berühmten Arzt Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) mit diesem doppelten Anspruch des Genres um?  Gelingt es, eine gute Geschichte zu erzählen, ohne historische Ereignisse zu verklären? 

 

„Sauerbruch – Das war mein Leben“ erschien 1954, drei Jahre nach dem Tod des Arztes und der Veröffentlichung seiner Memoiren[1]. Der Deutsche gehört zu den bedeutendsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts und hat sowohl durch seine Tätigkeit an der Berliner Charité als auch durch bahnbrechende Erfindungen – wie z. B. einer künstlichen Hand oder der Unterdruckkammer für Thoraxoperationen – seinen Patient*innen geholfen und die Medizin weiter vorangebracht. Sein Leben ist also durchaus interessant, erzählt zu werden. 

 

Das Drehbuch auf Basis der Autobiografie schrieb Felix Lützkendorf, Rolf Hansen führte Regie. Ewald Balser (1898–1978) verkörpert die Titelfigur vortrefflich und sieht dem echten Sauerbruch sehr ähnlich.  Der deutsche Schauspieler hatte schon zuvor sowohl Ärzte als auch andere bedeutende historische Persönlichkeiten, wie Beethoven oder Rembrandt dargestellt.

Die Erzählstruktur folgt einem klassischen Muster: die Rahmenhandlung spielt im Jahr 1948 und die Biografie des Arztes wird mit insgesamt fünf Rückblenden den Zuschauer*innen nähergebracht. 

 

Die Rahmenhandlung führt die Figuren ein und soll die Handlung vorantreiben. Ferdinand Sauerbruch wird als brillanter Chirurg inszeniert, der trotz seines Talents nicht abgehoben erscheint, sondern immer bescheiden und menschlich bleibt. In der Eröffnungsszene erkennen die Patient*innen den berühmten Arzt sofort. Im weiteren Verlauf der Exposition wird klar, dass umgekehrt auch Sauerbruch alle seine Patient*innen beim Namen kennt und um ihre persönlichen Geschichten weiß. Die Menschen vertrauen ihm, weil er sich Zeit für ihre Sorgen nimmt, jeden Fall ernsthaft behandelt und stets ehrlich ist, auch wenn er manchmal eine schlimme Diagnose stellen muss. Sauerbruch wird als Meister seines Berufs dargestellt, der dennoch sympathisch wirkt. Im ersten Drittel des Films kommt aber auch eine andere Seite des Chirurgen zum Vorschein. Durch seine Expertise tritt er als Autoritätsperson auf und wenn es darum geht, seine eigene Meinung gegen seine Kollegen durchzusetzen, bleibt er stur und kann dabei auch laut werden. In dieser Hinsicht bleibt er stets seinen Prinzipien treu und kämpft für „das Gute“. 

 

Für die Geschichtsvermittlung sind vor allem die ersten drei Rückblenden interessant. Zuerst sehen wir Sauerbruch während des Räteaufstands im München des Jahres 1919. Hier tritt der Arzt antirevolutionär auf. Die Filmemacher nutzen die Figuren außerdem als Sprachrohr, um ihre eigene Sicht auf die Münchener Räterepublik auszudrücken und sich ideologisch zu positionieren. Die Produktion zeigt dadurch Verständnis für antidemokratische Akteure. „Da oben“ seien dumme Leute, die alles falsch machen. Sauerbruch sei jedoch keiner von ihnen.

 

In der zweiten Rückblende sehen wir Sauerbruch an Paul von Hindenburgs Todesbett. Die beiden hatten sich tatsächlich gekannt und ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt. Die Szene ist jedoch frei erfunden, so starb Hindenburg nicht in München, sondern auf Gut Neudeck in Ostpreußen und Sauerbruch war überhaupt nicht anwesend. In dieser Rückblende wird die ideologische Ausrichtung des Films erneut sichtbar. Hindenburg wird sehr positiv dargestellt, obwohl er von der Geschichtswissenschaft als Steigbügelhalter Adolf Hitlers bezeichnet wird und ihm die Macht im Deutschen Reich übertragen hat. Im Film aber macht Hindenburg sich um die Zukunft seines Landes Sorgen und bereut wichtige Entscheidungen seines Lebens. Sauerbruch meint aber, dass „die Geschichte, die später urteilt“, immer mehr weiß und es dann auch „leichter hat“, über die Geschehnisse und ihre Akteure zu urteilen. Somit wird der Film zur Apologetik für Hindenburg, der auch an einer anderen Stelle gelobt wird. Es gäbe „ja vielerlei Ansichten über den alten Herren“, aber die Filmemacher wollen ihn offenbar entlasten.

 

Die weiteren Rückblenden sind weniger ideologisch aufgeladen und fokussieren sich mehr auf Sauerbruchs medizinische Errungenschaften. In den beiden letzten Flashbacks wird von der Erfindung der Unterdruckkammer erzählt, wobei die sonst spärlich eingesetzte Filmmusik den Spannungsbogen trägt. In dieser Sequenz sehen wir Sauerbruchs einzigen Fehlschlag im gesamten Film, als  eine Patientin beim ersten Einsatz der neuen Erfindung auf dem Operationstisch verstirbt. Ansonsten wird alles Schlechte oder Fragwürdige völlig ausgeklammert. 

 

Darunter fällt besonders die NS-Vergangenheit des Arztes, obwohl seine Memoiren ausführlich auf diesen Lebensabschnitt eingehen. Allgemein wird der Zweite Weltkrieg nur in Chiffren erkenntlich und der Name Adolf Hitler wird vermieden. Auch die Teilung wird mit keinem Wort erwähnt, was eine erschreckende Verdrängungsleistung der Filmemacher offenbart. In Wirklichkeit fiel Sauerbruch durch seine Nähe zur nationalsozialistischen Führungsetage auf. Er kannte Hitler persönlich und behandelte einige seiner engsten Vertrauten, darunter Propagandaminister Joseph Goebbels. Für den Medizinhistoriker Udo Benzenhöfer war Sauerbruch ein „schwankender, differenzierter Bejaher“ des Nationalsozialismus.

 

Die Filmemacher hätten die Rahmenhandlung etwas straffen müssen, um Platz für diese einschneidende Periode in Sauerbruchs Leben zu schaffen. So hätte man tiefer in die Psyche des Arztes eindringen können und seine Biografie in ihrer Ambivalenz zum Ausdruck bringen können. Dies hätte das Publikum der 1950er Jahre wohl eher abgeschreckt. Indem der Film jegliche negativen Episoden aus Sauerbruchs Leben ausgeklammert, wird er seinem biografischen Anspruch jedoch nicht gerecht und offenbart eine regelrecht hagiografische Intention. Sauerbruch wird als Heiliger samt Wunderheilungen dargestellt. In diesem Licht kann die finale Szene in der Kirche,  in der sich Sauerbruch ein Orgelkonzert eines ehemaligen Patienten anhört,  sogar als Heiligsprechung interpretiert werden. Die epische Kirchenmusik fungiert als Lobeshymne auf Sauerbruchs Leben.

 

Obwohl es sich bei diesem Film offensichtlich um eine Geschichtsklitterung handelt, kann er Historikerinnen und Historikern als aufschlussreiche Quelle über das Deutschland der Nachkriegszeit dienen. Nicht nur Sauerbruchs Biografie wird dem Publikum – wenn auch unvollständig – nähergebracht, sondern auch die Medizingeschichte wird erläutert. Mithilfe von passender Ausstattung und Filmsets zeigen die Filmemacher, wie Medizin in dieser Zeit an der Charité gelehrt wurde. Auch die Einführung neuer Technologien und ihre Wirkung auf die Medizin, wie z. B. die Erfindung des Röntgengeräts werden thematisiert. 

 

Des Weiteren spiegelt sich hier die Mentalität der Zeit, insbesondere hinsichtlich der traditionellen Geschlechterrollen: Die männlichen Ärzte stehen den weiblichen Krankenschwestern in einem klaren hierarchischen Verhältnis gegenüber und wenn eine Frau sich operieren lassen will, muss sie erst die Einwilligung ihres Ehemanns einholen. Außerdem steht Krankheit in Bezug zu Arbeitsunfähigkeit. Die Patienten machen sich Sorgen, dass sie nicht mehr arbeiten können und so den Sinn ihres Lebens verlieren. Eine Protagonistin wagt aus diesem Grund sogar einen Selbstmordversuch.

 

Alles in allem ist „Sauerbruch – Das war mein Leben“ ein durchaus unterhaltsamer Film, der es jedoch nicht schafft, ein vollständiges und reflektiertes Bild über das Leben des berühmten Arztes zu zeichnen. Trotz der problematischen und ideologisch aufgeladenen Geschichtsvermittlung stellt der Film für Geschichtswissenschaftler*innen eine interessante Quelle zur Medizin- und Mentalitätsgeschichte in Nachkriegsdeutschland dar. 

 

Der vorliegende Film blieb nicht die einzige Adaption von Ferdinand Sauerbruchs Leben. Sowohl im Fernsehfilm „Berühmte Ärzte der Charité“ (1983) als auch in der zweiten Staffel der rezenten Fernsehserie „Charité“ (2017) [externer Link, Das Erste] kommt Sauerbruch vor. In letzterer wird die Rolle des Arztes im Nationalsozialismus dargestellt. Eine Untersuchung der Darstellung und Geschichtsvermittlung in diesen beiden thematisch verwandten Produktionen und ein Vergleich mit dem eben besprochenen Spielfilm würde sich lohnen. 

 

Ein Beitrag von Jeff Kutten

 


Details zum Film auf einen Blick

Titel: Sauerbruch – Das war mein Leben

Genre: Biopic

Länge: 104 Minuten

Erscheinungsjahr: 1954

Regie: Rolf Hansen

Drehbuch: Felix Lützkendorf

 

Der Film ist zudem auf YouTube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=YLm7_L9Zb1Q [Hinweis: externer Link, privater YouTube-Account, es wird keine Haftung für Inhalte und die Sicherheit des Links übernommen].

 

Fußnoten:

[1] Sauerbruch, Ferdinand: Das war mein Leben, Bad Wörishofen 1951.

 

Bilder: 

*unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:(AfM)_PS_gf_S_04_Sauerbruch.jpg bzw. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/53/%28AfM%29_PS_gf_S_04_Sauerbruch.jpg

 


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