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Ein Stich mit großer Wirkung: Die Geschichte des Impfens

Gelbfieberimpfung einer Frau in Nigeria. Bild: Ugochukwu2007, via Wikimedia Commons.*
Gelbfieberimpfung einer Frau in Nigeria. Bild: Ugochukwu2007, via Wikimedia Commons.*

Sie werden zwar durch unterschiedliche Erreger ausgelöst, aber dennoch haben Pest, Cholera und Aids, aber auch Pocken, Polio und Tetanus eines gemeinsam: Sie gehörten zu den verheerendsten Infektionskrankheiten der Geschichte, die Millionen von Opfer forderten.

 

Über Jahrhunderte hinweg grassierten Seuchen nahezu unaufhaltsam in verschiedensten Gesellschaften, was ihnen die Bezeichnung „Geißeln der Menschheit“ einbrachte. Bei all den Schrecken, die sie verbreiteten, trennt die beiden genannten Gruppen aber eine wichtige Tatsache voneinander: Durch Impfungen konnten Polio und Tetanus in den Industriestaaten stark zurückgedrängt, die Pocken weltweit sogar ausgerottet werden.

 

Heute gilt die Impfkampagne als das wichtigste Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Eine Impfpflicht wird seit mehreren Monaten heiß diskutiert. Der folgende Artikel möchte Ihnen deshalb die historische Entwicklung der Impfungen näherbringen: Von ihren Anfängen, in einer Zeit in der weder Wissen über das Immunsystem noch über Mikroorganismen als Krankheitserreger existierte, bis in die Gegenwart. Dabei werden wir sowohl auf Triumphe als auch auf Fehlschläge stoßen; über ethisch fragwürdige Methoden nachdenken und erfahren, was die Bezeichnung für Impfungen mit Kühen zu tun hat. Kleiner Spoiler: Impfskeptiker und -gegner gab es von Anfang an.  


Die Mutter aller Impfungen: Pocken

Wer sich mit der Entwicklung von Immunisierungen beschäftigt, kommt um die Erfolgsgeschichte der Pockenimpfung nicht umhin. Es ist das wahrscheinlich bekannteste Beispiel einer erfolgreichen Impfstoffentwicklung, da in diesem Zusammenhang gleich mehrere Meilensteine gesetzt wurden: Die erste Impfung, die erste globale Impfkampagne, die erste Impflicht und schließlich die erste erfolgreiche Ausrottung einer Krankheit durch Immunisierung.

 

Bei dem Pockenvirus handelte es sich um einen der tödlichsten mikrobiologischen Gegner der Menschheitsgeschichte. Ägyptische Mumien und indische Schriftquellen lassen darauf schließen, dass die Krankheit – auch Variola oder Blattern genannt – bereits seit spätestens 1500 v. Chr. existierte (Thomson 1998). Von dem Pockenvirus (Orthopox variolae) verursacht, gehörte sie aufgrund ihrer leichten Übertragbarkeit per Tröpfcheninfektion und den hohen Letalitätsraten von bis zu 30 Prozent lange Zeit zu den gefährlichsten Seuchen. (Zum Vergleich: Die Letalitätsraten von Covid-19 und der Spanischen Grippe betragen regionsabhängig zwischen 0,7 und 6 Prozent.) Bekannt sind die Bilder von pockenerkrankten Kindern, deren Haut mit den charakteristischen Pusteln und Eiterbläschen überzogen ist. Überlebende der Krankheit waren in Folge oft schwer durch Narben gezeichnet oder erblindeten. 

 

Ein historisches Beispiel, das die verheerenden Auswirkungen der Pocken unterstreicht, ist ihre Einschleppung nach Amerika. Durch sie starben vermutlich weitaus mehr Indigene als durch Waffengewalt und Ausbeutung der europäischen Eroberer. Schätzungen gehen in dichter bewohnten Regionen von einem Bevölkerungskollaps von 90 Prozent innerhalb von nicht einmal 200 Jahren aus (Koch et al. 2019). Die Insel Hispaniola beispielsweise (heute Haiti und die Dominikanische Republik) bewohnten bei Kolumbus‘ Ankunft 1492 ca. drei Millionen indigene Taino. 50 Jahre später waren es Schätzungen zufolge nur noch 200 (Thomson 1998). Ein Großteil von ihnen erlag mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Pockeninfektion. Das Immunsystem der Taino konnte sich dieser neuen und tödlichen Pandemie nicht schnell genug anpassen. In Europa waren die Pocken dagegen längst endemisch und eine Immunität durch Überlebende daher durchaus verbreitet. Dieser Umstand führte zu einer besonders grausamen Episode der Auseinandersetzungen in Nordamerika. Im Jahr 1763 belagerten mehrere „Indianerstämme“ während des Siebenjährigen Kriegs das britische Fort Pitt (heute Pittsburgh), dessen Kommandant Simeon Ecuyer zusätzlich noch mit Pockenausbrüchen innerhalb seiner Festung zu kämpfen hatte. Die verantwortlichen britischen Militärs griffen in dieser Situation zu allen Mitteln. Sie schenkten den Belagerern während Verhandlungen zwei Decken und ein Taschentuch aus dem Pocken-Lazarett des Forts.

 

In der Folgezeit wurden die indigenen Bevölkerungsgruppen der Gegend von heftigen Pockenwellen dezimiert. Es ist zwar nicht mehr eindeutig zu klären, ob diese tatsächlich durch die britischen „Geschenke“ ausgelöst wurden (Ranlet 2000). Doch lassen sich in der Nutzung dieser „Seuchendecken“ zwei Dinge erkennen: Erstens waren die Pocken eine derart verheerende Krankheit, dass sogar ihre Verwendung als eine Art simpler Biowaffe in Frage kam. Zweitens war man sich bereits damals der verheerenden Wirkung von Infektionswegen, wenn auch nicht ihrer Funktionsweise, bewusst. Die Auslöser derartiger Krankheiten waren bis zur Einführung der medizinischen Mikrobiologie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unbekannt. Erst durch die Arbeit von Forschern wie Robert Koch und Louis Pasteur konnten Mikroorganismen zweifelsfrei als pathogene Verursacher von Infektionskrankheiten identifiziert werden. Doch fast ein Jahrhundert zuvor fanden im englischen Gloucestershire bereits die ersten modernen Impfungen statt. Wie kam es dazu?

 

Die Geschichte des Impfens geht weiter in Teil 2: Ein Brite und 22 Waisenkinder impfen die Welt.

 

Ein Beitrag von Max Witzler


Anmerkung: Auf Wunsch des Autors wurde in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Mit der Verwendung sind dennoch sowohl weibliche als auch nicht-binäre Menschen gemeint. 

 

Literatur:

Gibis, Sonja (2021): Eine Dosis Hoffnung - die Geschichte des Impfens. Hg. v. Apotheken Umschau. Wort & Bild Verlag Konradshöhe. Baierbrunn. Online verfügbar unter https://www.apotheken-umschau.de/medikamente/basiswissen/eine-dosis-hoffnung-die-geschichte-des-impfens-835671.html.

Hanning, Nicolai (2020): Das Vorsorgeparadox. Beobachtungen zu einem modernen Phänomen in Coronazeiten. Hg. v. Brigitta Bernet, Christine Lötscher und Gesine Krüger. Geschichte der Gegenwart. Online verfügbar unter https://geschichtedergegenwart.ch/das-vorsorgeparadox-beobachtungen-zu-einem-modernen-phaenomen-in-coronazeiten/.

Kaiser Wilhelm, König von Preußen; Bundesrath; Reichstag (08.04.1874): Reichs-Gesetzblatt No. 11 (11), S. 31–34. Online verfügbar unter https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b3/Deutsches_Reichsgesetzblatt_1874_011_031.jpg.

Klein, S.; Schöneberg, I.; Krause, G. (2012): Vom Zwang zur Pockenschutzimpfung zum Nationalen Impfplan. Die Entwicklung des Impfwesens vom Deutschen Kaiserreich bis heute. In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 55 (11-12), S. 1512–1523. DOI: 10.1007/s00103-012-1539-7.

Koch, Alexander; Brierley, Chris; Maslin, Mark, Lewis, Simon (2019): Earth system impacts of the European arrival and Great Dying in the Americas after 1492 Elsevier Enhanced Reader. In: Quaternary Science Reviews (207), S. 13–36.

Markgraf, Sarah; Radicke, Florian (2022): Geschichte des Impfens. #bestensimpformiert. Podcast. Bielefeld.

Meßner, Daniel; Hemmer, Richard (2020): Kleine Geschichte der Pocken oder wie 22 Waisenkinder die Welt impften. Hg. v. Spektrum.de.

Portmann, Marie-Louise (1977): Die Variolation im Spiegel der Korrespondenz Albrecht von Hallers (1708-1777) und Achilles Mieg (1731-1799). In: Swiss Journal of the history of medicine and sciences 34 (3 - 4), S. 294–303. DOI: 10.5169/SEALS-521255.

Ranlet, Philip (2000): The British, the Indians, and Smallpox: What Actually Happened at Fort Pitt in 1763? In: Pennsylvania History: A Journal of Mid-Atlantic Studies 67 (3), S. 427–441.

Thomson, Mark (1998): Junior Division Winner: The Migration of Smallpox and Its Indelible Footprint on Latin American History. In: The History Teacher 38 (1), S. 117–131.

Winkle, Stefan (2005): Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. 3., verbesserte und erweiterte Auflage. Düsseldorf: Artemis & Winkler.

 

Websites:

Impfstoffe - Paul-Ehrlich Institut: https://www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoffe/impfstoffe-node.html.

Impfen - Robert Koch Institut: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/impfen_node.html.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: https://www.impfen-info.de/.

Covid-19 und mRNA Impfstoffe - Schweizer Akademie der Naturwissenschaften: https://naturwissenschaften.ch/covid19-vaccination-explained/mrna_vaccines/wie_funktioniert_ein_mrna_impfstoff.

 

 

Bilder (letzter Zugriff jeweils am 29.03.2022):

*(C) by Ugochukwu2007, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons.

Page-URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yellow_fever_vaccination_02.jpg

File-URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a4/Yellow_fever_vaccination_02.jpg

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