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Von der Impfpflicht


Teil 3: Geschichte des Impfens | Lesen Sie hier Teil 2


Bild: James Gillray: The Cow-Pock-or-the Wonderful Effects of the New Inoculation! (1802). British Museum, London.
Bild: James Gillray: The Cow-Pock-or-the Wonderful Effects of the New Inoculation! (1802). British Museum, London.

Die frühen Impferfolge überzeugten auf ganzer Linie. Nur gut ein Jahrzehnt nach der ersten Impfung durch Jenner führte Bayern als weltweit erstes Land eine Impfpflicht ein (1807). Impfsäumige wurden mit empfindlichen Geldstrafen belegt. Württemberg zog 1815 nach. In Preußen beließ man es bei einer Impfempfehlung, jedoch mussten sich Besucher von öffentlichen Bildungseinrichtungen und Soldaten immunisieren lassen. Besonders deutlich trat der Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften im Kontext der Pockenepidemie während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71 hervor, die mindestens 150.000 Opfer forderte. An Medizinstatistiken lässt sich erkennen, dass die geimpften deutschen Soldaten im Gegensatz zu ihren französischen Pendants nicht an Pocken erkrankten. Die Seuche ging jedoch von französischen Kriegsgefangenen auf die Zivilbevölkerung über (Klein et al. 2012). Daraufhin führte das neu gegründete Deutsche Reich im April 1874 ein breit diskutiertes Impfgesetz ein. Dies sah eine verpflichtende Impfung für jedes Kind im Alter von zwei Jahren und eine Wiederholungsimpfung mit zwölf Jahren vor. In Paragraph 14 des Reichs-Impfgesetzes wurde festgehalten, welche Strafen den sorgepflichtigen Personen bei Nichtimpfung und sogar bei Nichtführung des Impfnachweises ihres Schutzbefohlenen drohten:

 

„Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, welche den nach §. 12 ihnen obliegenden Nachweis zu führen unterlassen, werden mit einer Geldstrafe bis zu zwanzig Mark bestraft.

Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, deren Kinder und Pflegebefohlene ohne gesetzlichen Grund und trotz erfolgter amtlicher Aufforderung der Impfung oder der ihr folgenden Gestellung (§. 5) entzogen geblieben sind, werden mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen bestraft.“ [1]

 

 

 

Der Staat griff also zum Schutz der Individuen und Allgemeinheit stark in das Leben der Bürger ein. Mit Erfolg, wie sich im Nachhinein feststellen lässt: Die Pockenepidemie von 1870/71 sollte die letzte schwere auf dem Gebiet Deutschlands bleiben. Dennoch dauerte es noch über hundert Jahre bis die Pocken weltweit durch Impfungen ausgelöscht werden konnten. Als erste Seuche überhaupt erklärte sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 8. Mai 1980 für ausgerottet. Offiziell existieren die Pocken heute nur noch in zwei Hochsicherheitslaboren in den USA und Russland.

 

Auch für die Führung der DDR überwogen die Vorteile einer Impfpflicht. Sie führte für Kinder und Jugendliche gleich mehrere verpflichtende Immunisierungen ein: gegen Tuberkulose (1953), Diphtherie und Tetanus (1961), Poliomyelitis (1961), Pertussis (1964) und 1970 auch gegen die Masern. Trotz der Verpflichtung wurde allerdings betont, „dass die Impfpflicht lediglich ein juristischer Aspekt sei – im Impfalltag der DDR stünden Freiwilligkeit und Aufklärung im Vordergrund. Umgesetzt wurde die Impfpflicht mithilfe von Öffentlichkeitsarbeit und einem Einladungswesen sowie persönlichen Gesprächen“ (Klein et al. 2012).

 

Impfskepsis und Widerstand

Zweifler und erklärte Gegner des Impfens, beziehungsweise des Impfzwangs, gab es von Anfang an. Das Spektrum der Argumente reichte von Debatten über das Verhältnis von individuellen Freiheitsrechten gegenüber dem Staat, über mögliche Impfschäden, bis hin zu ausgefallenen Mythen. Zentral war und ist dabei die Frage, wann es zulässig ist, die körperliche Unversehrtheit einer gesunden Person absichtlich zu verletzen, um einen Schutz vor einer möglichen schweren Erkrankung herbeizuführen.

 

Dies gab auch schon die Zentrumspartei im deutschen Reichstag zu bedenken. Außerdem beklagte sie den weitreichenden Eingriff des Staats in das Privatleben der Bürger, den eine Impfpflicht bedeutete. Weltfremder waren dagegen jene unterwegs, die schon bei den frühen Pockenimpfungen befürchteten, dass Ihnen durch die Injektion von Kuhlymphe bovine (so wurde der erste „Impfstoff“ gegen die Pocken genannt) Gliedmaßen wachsen würden. Der Karikaturist James Gillray widmete Ihnen eine pointierte Karikatur, in der den Impflingen Kuhorgane aus dem Körper sprießen.

 

Nach Einführung der Impfpflicht in Bayern mehrten sich auch dort die Berichte von Kindern, die fortan Kuhlaute von sich gegeben hätten. Manche Katholiken fürchteten gar durch Impfung mit dem Protestantismus infiziert zu werden. Derartiges Unbehagen scheint aus heutiger Sicht albern. Es verdeutlicht aber, dass man es damals mit einer neuartigen Form von Wissen zu tun hatte, das für viele nicht nachvollziehbar war. Dabei waren längst nicht alle Bedenken absurd. Bei der anfänglichen Impfmethode von Pockenbläschen zu Pockenbläschen konnten nämlich auch andere Krankheiten – wie etwa die Syphilis – übertragen werden, was zu legitimen Zweifeln bei einigen zu Impfenden führte. Im Jahr 1930 starben in Lübeck 77 Kinder aufgrund überstürzter Vakzinationen, die mit einem fehlerhaften Impfstoff durchgeführt wurden. In den USA wurden Impfungen gegen Kinderlähmung teils ebenfalls mit fehlerhaften Sera vollzogen, was schwere Erkrankungen und Todesfälle zur Folge hatte.

 

 

Derartige Vorfälle sind heutzutage extrem unwahrscheinlich. Impfstoffe und Arzneimittel werden vor ihrer Zulassung elaborierten Prüfverfahren des Paul-Ehrlich-Instituts unterzogen, das mit einer großen Zahl von Probanden arbeitet. Auf europäischer Ebene prüft die European Medicines Agency (EMA). Statistisch gehören Impfstoffe zu den sichersten und unbedenklichsten Arzneimitteln. Im Einzelfall kann es aber dennoch zu Nebenwirkungen und Schäden kommen. So löste die Schweinegrippeimpfung in Skandinavien 2009 bei einigen jüngeren Impflingen mit einer spezifischen genetischen Veranlagung Narkolepsie aus (eine schwerwiegende Schlafstörung). Auch deshalb müssen das Für und Wider weitreichender Regelungen, wie etwa einer Impfpflicht, detailliert abgewogen und geprüft werden. Eine gesunde Skepsis macht dabei aber nicht alle Bedenken legitim. So hört man auch heute noch viele wissenschaftsferne Argumente. Interessant ist, dass eine starke Gegnerschaft des Impfens oft im Zusammenhang mit Naturheilbewegungen und anthroposophischen Strömungen steht. Dies lässt sich sogar geografisch feststellen. So sind die heutigen Hochburgen der Impfgegner dort verortbar, wo Naturheilbewegungen traditionell stark sind und schon zu Zeiten des Kaiserreichs die ersten Impfgegnervereine gegründet wurden, etwa in den Regionen um Stuttgart und Dresden (Medizinhistorikerin Karen Nolte in: Markgraf und Radicke 2022). Historisch feststellen lässt sich zudem, dass mit einem größeren staatlichen Impfdruck auch der Widerstand wuchs. Ein Phänomen, das auch zu Zeiten der Debatten über die Corona-Impfung wieder auftritt.

 

Ein Beitrag von Max Witzler


Fußnoten:

[1] Anm. d. Autors: 50 Reichsmark würden heute etwa 850 Euro entsprechen. Quelle: Reichs-Gesetzblatt No. 11. (Kaiser Wilhelm, König von Preußen; Bundesrath; Reichstag 08.04.1874).

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Kommentare: 1
  • #1

    Horn Dagmar (Donnerstag, 18 April 2024 09:06)

    Die nicht-Prüfung und ungeprüfte Zulassung des C“Impfstoffs“ sowie die Anfeindungen und Stigmatisierung von Menschen die diesen nicht haben wollten - ist genau so wie das was früher passierte, von daher hat sich nix geändert ? Ich sehe keinerlei Unterschiede.

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