· 

Das etwas andere Stadtmuseum: Das Ravensburger Humpis-Quartier


Abb. 1: Ein farbliches 3D-Schema der Anlage des Museums: Eingerahmt wird das Museum im Westen von der Marktstraße, im Nordosten von der Roßbachstraße und im Südosten (hier unten) von der Humpisstraße.
Abb. 1: Ein farbliches 3D-Schema der Anlage des Museums: Eingerahmt wird das Museum im Westen von der Marktstraße, im Nordosten von der Roßbachstraße und im Südosten (hier unten) von der Humpisstraße.

Am Rand der Ravensburger Altstadt an der Marktstraße befindet sich ein Block von sieben Fachwerkhäusern aus dem Hoch- und Spätmittelalter, in deren Räumen das Museum Humpis-Quartier anhand der ehemaligen Bewohner*innen Stadtgeschichte dokumentiert. Der Rundgang teilt sich in die rechte und die linke Hälfte des Häuserblocks, welche über den Innenhof miteinander verbunden sind. Der Lageplan und die architektonische Geschichte im Erdgeschoss des Eingangsgebäudes erklären Aufbau und Intention des Museums, die grundsätzlich anders ist als gewohnt: Nicht chronologisch wird die Geschichte der sieben Häuser erzählt, sondern episodisch anhand Ravensburger Biografien in den jeweiligen Räumlichkeiten, in denen diese Menschen gelebt hatten.

 

Die Geschichte der Häuser wird dabei sichtbar:  Die Räume sind nicht renoviert, sondern in diversen Stadien ihrer Geschichte belassen und restauriert worden. So geht man über knarzende Dielenböden, nackten, unebenen Stein oder Ziegel, wenn der Boden nicht durch moderne Platten geschützt werden muss. Die Mauern sind teilweise unbearbeitet, die  verschiedenen Tapezierungen zeigen den Einfluss verschiedener Zeiten und Geschmäcker. Über Ausstellungsstücke wird wenig erzählt, vielmehr sind die ausgestellten Objekte repräsentative Träger eines Themas, das per Audioguide-Station erkundet werden kann. Auch mit Texten wird sehr spärlich gearbeitet. Die Laserpointer-artigen Audioguides sind unbedingt notwendig, um das Museum zu verstehen. Ergänzt wird der physische Besuch durch einen digitalen Rundgang auf der Webseite des Museums mitsamt Zeitstrahl.

 

Die Humpis Gesellschaft

Highlight des Museums sind die Räumlichkeiten der Familie Humpis. Die Große Ravensburger Handelsgesellschaft war eine von etwa 1380 bis 1530 aktive Fernhandelsgesellschaft, die von Mitgliedern dreier miteinander verbundener Familien organisiert wurde, von denen die Humpis am bedeutendsten waren.[1] Investoren streckten zur Gründung Geld vor, aus deren Höhe sich dann auch anteilig die Gewinnausschüttung nach sieben Jahren ergab, bevor die Gesellschaft neu gegründet wurde. Der Kaufmann Hans Humpis und seine Frau Ursula lebten im späten 15. Jahrhunderts in den repräsentativen Räumen im ersten Stock des Haupthauses, auf dem Schema (Abb. 1) rot dargestellt. Der blaue Erker (Abb. 2), unter dessen Anstrich mehrere Schichten von Farbe liegen, bietet einen Panoramablick auf die Marktstraße und betonte den besonderen Status der Bewohner.

 

Eine direkt an den Wohnraum angrenzende Küche mit Durchreiche zeigt, dass hier vergleichsweise reiche Menschen recht komfortabel lebten. Im 20. Jahrhundert befand sich in denselben Räumlichkeiten ein Gasthaus, dessen Spuren immer noch in einem Streifen der damaligen Tapete neben der Tür und zwei eingelassenen Schränkchen in den Wänden zu sehen sind. Solche architektonischen Spuren machen die wechselhafte Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner sichtbar.

Der Rundgang durch die Dauerausstellung kann im Keller beginnen, in dem Ausgrabungen aus dem Innenhof des ersten Hauses rund um das Jahr 1100 erklärt werden. Ein Lederhandwerker für hochqualitative Schafslederprodukte arbeitete hier im Hochmittelalter, bis das Haus abbrannte. An seiner Stelle entstanden jene sieben Häuser, die das heutige Museum des Humpis-Quartiers bilden. Auf dem Weg durch die Ausstellung begegnet man der Gerberfamilie Wucherer (um das Jahr 1789), besucht das ehemalige Schankhaus des Gastwirts Gottfried Rosch im „Grünen Saal“ zu seiner Blütezeit als Vereinszentrum um 1848 oder trifft auf zwei adelige Ravensburger Familien des 18. Jahrhunderts im Dachstuhl des Haupthauses. Jede dieser Stationen wird je nach Thema passend akustisch untermalt, durch Musik oder eine Geräuschkulisse.

 

Abb. 2: Zentral befinden sich zwei große, asymmetrische Fenster zur Straße hin, das rechte davon in einer himmelblau gestrichenen Nische mit Kuppel. Der Ausschnitt zeigt einen Teil der repräsentativen Räumlichkeiten des Humpis-Ehepaares.
Abb. 2: Zentral befinden sich zwei große, asymmetrische Fenster zur Straße hin, das rechte davon in einer himmelblau gestrichenen Nische mit Kuppel. Der Ausschnitt zeigt einen Teil der repräsentativen Räumlichkeiten des Humpis-Ehepaares.

Stadtgeschichte in den Kabinettsausstellungen

Neben diesen exemplarischen Begegnungen mit historischen Ravensburgern erzählen so genannte Kabinettsausstellungen besonders relevante Episoden der Stadtgeschichte wie die Geschichte der „Schwabenkinder“.

Eingebunden in ein EU-Projekt dreht sich eine der Kabinettsausstellungen in den östlichen Häusern des Komplexes um die „Schwabenkinder“. Die Ausstellung ist über Google Maps in die Webseite eingebettet und online begehbar. Aus den Alpengebieten, hauptsächlich aus Vorarlberg, Graubünden und Tirol, wurden im 19. Jahrhundert Kinder von armen Bauernfamilien im Frühjahr zur Arbeit nach Süddeutschland geschickt. Viele davon kamen nach Ravensburg, wo sie auf dem Kindergesindemarkt in der Bachstraße von Bauern zur Arbeit auf ihren Höfen angestellt wurden. Dort erhielten sie Verpflegung und Kleider, womit diese Ausgaben nicht den Eltern zur Last fielen. Im Herbst wanderten die Kinder dann wieder zurück nach Hause. Im frühen 20. Jahrhundert wurden diese Praktiken wegen der hohen Kindersterblichkeit auf der Reise kritisiert und schließlich verboten. Ausgestellt sind in drei Räumen die Gründe der Migrationsbewegung aus der Armut heraus, der lange Weg der Kinder aus den Alpen und schließlich der Bezug zum Ravensburger Hütekindermarkt.

 

Einschätzung

Neben den Sonderausstellungen ergänzen zwei weitere Kabinettsausstellungen zur spätmittelalterlichen Textilindustrie in Ravensburg sowie zu ostpreußischen Geflüchteten in und nach dem zweiten Weltkrieg die Dauerausstellung. Zusammen mit den Hexenverbrennungen und den Schwabenkindern befassen sich also all diese Geschichten im engeren oder weiteren Sinne um Ravensburg im Kontext der Reichsgeschichte. Diese dadurch aufgebrochene, nicht-lineare Chronologie kann Besucher*innen – zusätzlich zu den räumlichen Gegebenheiten – jedoch verwirren. Die Häuser sind verwinkelt, miteinander durch Wanddurchbrüche verbunden und bieten damit auch keinen klaren Weg durch das Museum. Ein Lageplan auf einem Flyer wäre hier sinnvoll. Lässt man sich auf das ungewöhnliche Konzept ein – nämlich  dass es keine richtige, chronologische  Reihenfolge gibt, in der man die Häuser erkunden sollte – funktioniert das, dauert allerdings eine Weile. Insgesamt benötigt man mit Audioguide allein für die Dauerausstellung etwas mehr als drei Stunden, um alles zu sehen. Ein Besuch des Humpis-Quartiers lohnt aber gerade besonders wegen des anschaulichen, exemplarischen Individualgeschichten.

 

Ein Beitrag von Sandra Höhn 


Weiterführende Informationen:

Museum Humpis-Quartier Ravensburg

Adresse: Marktstraße 45, 88212 Ravensburg. Das Museum ist weitgehend barrierefrei.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11-18 Uhr

Eintritt: Tageskarte 7 €, ermäßigt 5 €, Kinder bis 18 Jahre kostenlos, Jahreskarte 18 €

Öffentliche Führungen: Samstag 14 Uhr und Sonntag 15 Uhr, um eine Anmeldung wird gebeten unter: https://www.museum-humpis-quartier.de/mhq/termine/ (05.01.2024)

Homepage: https://www.museum-humpis-quartier.de/mhq/ (05.01.2024)

 

Nachweise:

Eitel, Peter: Die Calwer Zeughandlungskompanie. Die große Ravensburger Handelsgesellschaft. In: Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.): Historischer Atlas von Baden-Württemberg. Erläuterungen, Beiwort zur Karte 11,3. Stuttgart 5. Lieferung 1976.

Humpis-Quartier: https://www.museum-humpis-quartier.de/mhq/museumswelten/lebenswelten-fernhaendler.php (02.09.2022).

Schwabenkinder: https://www.museum-humpis-quartier.de/mhq/museumswelten/schwabenkinder.php (05.09.2022).

 

Abbildungen:

Urheberrecht beider Fotos: Sandra Höhn

Abb. 1: Ein farbliches 3D-Schema der Anlage des Museums: Eingerahmt wird das Museum im Westen von der Marktstraße, im Nordosten von der Roßbachstraße und im Südosten (hier unten) von der Humpisstraße.

Abb. 2: Zentral befinden sich zwei große, asymmetrische Fenster zur Straße hin, das rechte davon in einer himmelblau gestrichenen Nische mit Kuppel. Der Ausschnitt zeigt einen Teil der repräsentativen Räumlichkeiten des Humpis-Ehepaares. Links sind drei moderne Hocker auf grauen, modernen Bodenplatten zu sehen.

 

Fußnoten:

 

[1] Vgl. Eitel, Peter: Die Calwer Zeughandlungskompanie. Die große Ravensburger Handelsgesellschaft. In: Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.): Historischer Atlas von Baden-Württemberg. Erläuterungen, Beiwort zur Karte 11,3. Stuttgart 5. Lieferung 1976.


Infospalte


 

 

 

Verwandte Themen:

Geschichtslernen digital

 

Folge uns auf  Twitter:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Institut für Geschichtsdidaktik und Public History

Wir bieten Ihnen interessante Informationen und Wissenswertes über Geschichte in unserem Alltag und für die Schule: von Ausstellungsrezensionen über Unterrichtsmaterial bis hin zu Reise- und Fortbildungstipps. Alles was Geschichtsinteressierte begeistert – Klicken Sie sich schlau!