Vor fast 75 Jahren, am 23. Mai 1949, wurde das Grundgesetz verabschiedet und unterzeichnet. Der Deutsche Bundestag trat daraufhin am 7. September 1949 zum ersten Mal zusammen. Im Zusammenhang mit diesem historischen Jubiläum möchte der Deutsche Bundestag das politische und gesellschaftliche Engagement, die parlamentarische Arbeit und die besonderen Lebenswege der 38 weiblichen Abgeordneten der ersten Wahlperiode würdigen.
Das Lesebuch, das am 15. Mai 2024 im Christoph Links Verlag erscheint, gibt Einblicke in die Anfänge der jungen Bonner Republik und in die Biografien der Pionierinnen des Parlamentarismus. Namhafte Autorinnen wie Juli Zeh, Shelly Kupferberg, Julia Franck, Helene Bukowski und Terézia Mora porträtieren einzelne Abgeordnete in literarischen Texten und geben so einen tiefen Einblick in die Lebenswege der Frauen, die heute größtenteils im Verborgenen liegen.
Die weiblichen Abgeordneten des Deutschen Bundestages bewegten sich in einer Männerwelt. Unter den 410 gewählten Abgeordneten, die sich
seit September 1949 im neu errichteten Bundeshaus versammelten, befanden sich zu Beginn lediglich 28 Frauen. Im Nachkriegsdeutschland, in dem jedoch die Frauen eine klare Mehrheit bildeten und
schon seit einiger Zeit die traditionellen „Männeraufgaben“ zusätzlich schulterten, stellten die Parlamentarierinnen folglich nur eine Minderheit von gerade einmal 6,8% dar.
Zum Ende der ersten Wahlperiode stieg der Anteil an weiblichen Abgeordneten auf 9%. Da Frauen oft hintere Listenplätze erhielten und häufig nur ins Parlament nachrücken konnten, wurden sie despektierlich „Sarghüpfer“ genannt. Trotzdem erhielten so zehn weitere Frauen ein Mandat und die Möglichkeit, die Bundespolitik mitzugestalten.[1]
Zu diesen Abgeordneten gehörte auch Jeanette Wolff (1888–1976) (vgl. Abbildung 1), die 1952 ihr Mandat antrat. Als gläubige Jüdin überlebte sie den Holocaust, die Zwangsarbeit und die Todesmärsche und nahm ihr politisches Engagement als Sozialdemokratin mit dem Kriegsende wieder auf. Neben ihrer Tätigkeit als Stadtverordnete von Berlin, war sie auch Mitglied der Entnazifizierungs-Kommission von Neukölln und Vorstandsvorsitzende der SPD. Im Bundestag setzte sie sich für ein bundesweites Entschädigungsgesetz ein, welches bereits 1953 verabschiedet wurde.[2]
Eine politische Pionierin der ersten Stunde war mit Sicherheit auch die Abgeordnete Louise Schroeder (1887–1957) (vgl. Abbildung 2). Als
sie 1949 ihr Mandat aufnahm, konnte sie bereits auf 13 Jahre Parlamentserfahrung zurückgreifen. Sie war eine der ersten Frauen, die nach der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts
1919 in Deutschland politisch aktiv werden konnte und der Weimarer Nationalversammlung
angehörte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde Louise Schroeder eine der drei Bürgermeister*innen von Berlin und zeitweise sogar Oberbürgermeisterin. Sie war eine der ersten Frauen, die in Bonn ans Rednerpult getreten ist. Dort setzte sie sich vor allem für die geteilte Stadt Berlin ein.[3]
Jede der 38 Frauen verdient es gewürdigt zu werden. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Erfahrungen verband sie alle der Wille, einen aktiven Beitrag zur Festigung der jungen Demokratie in Deutschland zu leisten. Sie stellten sich gegen Vorurteile, Anfeindungen und Diskriminierung, um eine sichere, gerechtere und demokratische Zukunft für Frauen und die gesamte Gesellschaft zu schaffen.
Das Lesebuch „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag erscheint am 15. Mai 2024 im deutschen
Buchhandel. Unter diesem Link (externer Link) kann das Buch vorbestellt werden. Mit der Publikation möchte der
Deutsche Bundestag vor allem Historikerinnen und Historiker dazu anregen, die Geschichte der ersten weiblichen Abgeordneten weiter zu erforschen. Hierzu wurde auch eine ausführliche Dokumentation
mit Literatur- und Rechercheangaben von den Wissenschaftlichen Diensten erstellt. Das Lesebuch wird am 15. Mai 2024 von der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Reichstag vorgestellt.
Ein Beitrag von Clara Müller
Nachweise:
Erlbeck, Heike: Louise Schroeder (1887-1957) SPD. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.), „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag, Berlin 2024, S. 220–223.
Weis, Natalie: „Der nächste Redner ist eine Dame …“ Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag. Eine Einleitung. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.), „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag, Berlin 2024, S. 10–29.
Weis, Natalie: Jeanette Wolff (1888-1976) SPD. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.), „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag, Berlin 2024, S. 248–251.
Bilder:
Titelbild: Buchcover. (C) Ch. Links Verlag.
Abbildung 1: Jeanette Wolff. Herkunft: Deutscher Bundestag: Handbuch des Deutschen Bundestages, (1. WP, 2. Aufl.). Stuttgart 1952. Gemeinfrei.
Abbildung 2: Louise Schroeder. Herkunft: Deutscher Bundestag: Handbuch des Deutschen Bundestages, (1. WP, 2. Aufl.). Stuttgart 1952. Gemeinfrei.
Fußnoten:
[1] Vgl. Weis, Natalie: „Der nächste Redner ist eine Dame …“ Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag. Eine Einleitung. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.), „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag, Berlin 2024, S. 10.
[2] Vgl. Weis, Natalie: Jeanette Wolff (1888-1976) SPD. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.), „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag, Berlin 2024, S. 249f.
[3] Vgl. Erlbeck, Heike: Louise Schroeder (1887-1957) SPD. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.), „Der nächste Redner ist eine Dame“ – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag, Berlin 2024, S. 222f.
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