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Odyssee einer Urkunde. Die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849


(Vlnr.) Dr. Wolfgang Schäuble (Bundestagspräsident a. D.), Frank-Walter Steinmeier (Bundespräsident), Bärbel Bas (Bundestagspräsidentin), Prof. Dr. Martin R. Gross (SDHM) und Dr. Wolfgang Thierse (Bundestagspräsident a. D.) vor der originalen Urkunde.
(Vlnr.) Dr. Wolfgang Schäuble (Bundestagspräsident a. D.), Frank-Walter Steinmeier (Bundespräsident), Bärbel Bas (Bundestagspräsidentin), Prof. Dr. Martin R. Gross (SDHM) und Dr. Wolfgang Thierse (Bundestagspräsident a. D.) vor der originalen Urkunde.

Am 18. Mai 2023 wurde mit einem feierlichen Akt und einem Bürgerfest in Frankfurt sowie in weiteren deutschen Städten das 175-jährige Jubiläum der Paulskirche gefeiert. Am 18. Mai 1848 waren zum ersten Mal über 500 Abgeordnete in ein gesamtdeutsches Parlament eingezogen. Ganz im Sinne der vorhergegangenen Revolutionen, die sich von Paris ausgehend auf weite Teile Europas ausgebreitet hatten, erarbeiteten diese Abgeordneten in mehreren Monaten eine Verfassung für einen ersten deutschen Einheitsstaat. Die Verfassungsurkunde ist am 28. März 1849 von 405 Abgeordneten, also einer außergewöhnlich hohen Mehrheit des sonst so vielfältigen politischen Spektrums, unterzeichnet worden. Hier beginnt die einzigartige und bemerkenswerte Geschichte der Verfassung als historisches Objekt und als Symbol für Demokratie, Revolution, Scheitern und Neuanfang.

 

Mit ihren beinahe 175 Jahren hat dieses Dokument den Niedergang des Nationalstaats sowie Monarchien, Republiken und Diktaturen miterlebt und überdauert. Zeitweise im Besitz einzelner Akteure, zeitweise als Archivgut verwahrt, ist dieses bedeutende Objekt der deutschen Demokratiegeschichte nun der Ausgangspunkt für die Ausstellung „Odyssee einer Urkunde. Die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849“, die am 27. März 2023 in der Abgeordnetenlobby des Reichstags von der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Beisein des Bundespräsidenten eröffnet wurde und dort bis September 2023 besucht werden kann. 

 

Die Ausstellung beginnt mit der Entstehungsgeschichte des Dokuments und zeigt, wie das sogenannte „Professorenparlament“ in einer relativ kurzen Zeit einen Grundrechtskatalog erarbeitet und verabschiedet hat sowie weitere konstitutionelle Merkmale des entstehenden Nationalstaats festlegte. Nach dem Scheitern der Revolution und des Parlaments siedelte die Verfassung nicht mit dem Rumpfparlament nach Stuttgart um, sondern wurde, als der politische Druck stieg, nach England in Sicherheit gebracht. Ausgerechnet dieses bedeutende Dokument der deutschen Einheit, Revolution und Demokratie fand Schutz in der britischen Monarchie. Erst in den 1870er-Jahren gelangte die Verfassung wieder auf deutschen Boden. Der mit dem Nachlass des Parlaments betraute Friedrich Jucho sah im Norddeutschen Reichstag den rechtmäßigen Nachfolger der Paulskirchenversammlung und sandte dem Präsidenten Eduard Simson, der auch Präsident der Nationalversammlung war, das bedeutende Dokument zu. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich die Verfassung in staatlicher Obhut. In diesem Zeitraum wurde sie auf der Kölner Pressa, einer NS-Propagandaausstellung, gezeigt und dann von einem Berliner Kleinkriminellen aus der Reichstagsbibliothek gestohlen. In den Wirren der Nachkriegszeit ging die Verfassung verloren, bis sie von einem Potsdamer Schüler auf einem Schutthaufen an einem Badesee gefunden wurde. Sofort erkannte er die Bedeutung des Dokuments anhand des auffälligen roten Einbandes und ließ es nach eigenen Angaben zunächst einige Jahre in seinem Bücherregal stehen.

 

 

Ministerialrat Dr. Hilmar Sack bei der Einführung in die Ausstellung.
Ministerialrat Dr. Hilmar Sack bei der Einführung in die Ausstellung.

1953 brachte er es nach Ost-Berlin zum neugegründeten Museum für Deutsche Geschichte. Die historische Bedeutsamkeit des anscheinend schon sehr mitgenommenen Dokuments schien den dortigen Konservator*innen zunächst nicht aufgefallen zu sein, der Finder erhielt lediglich 25 Mark und eine Dankesurkunde. Nach der Wende ging die Paulskirchenverfassung in den Besitz des Deutschen Historischen Museums über und wurde Teil der Dauerausstellung. Für die aktuelle Ausstellung im Reichstag erhielt der Deutsche Bundestag das Original der Verfassung für eine Woche als Leihgabe. Aus konservatorischen Gründen konnte das Original nicht länger ausgesellt werden und wurde deshalb durch eine Reproduktion in der Ausstellung ersetzt.

 

Die Ausstellung kann nach Voranmeldung besucht werden. Dazu bietet der Fachbereich WD 1 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags drei öffentliche Führungen an, zu denen sich Interessierte unter austellung.wd1@bundestag.de unter Angabe des vollständigen Namens und Geburtsdatums anmelden können. Die Führungen finden am 5. Juni, 10. Juli und 28. August 2023 jeweils um 17 Uhr statt.

 

Eine reich bebilderte Broschüre mit den Inhalten der Ausstellung kann unter https://www.bundestag.de/ausstellung/reichsverfassung auf Deutsch und auf Englisch heruntergeladen werden. Kostenfreie Druckexemplare in größeren Mengen oder Klassensätzen können unter https://www.btg-bestellservice.de/informationsmaterial/49/anr20100000  bestellt werden.

 

Auf der Internetseite des Deutschen Bundestags unter https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/paulskirche wurde zudem eine Sonderebene zum 175-jährigen Jubiläum der Paulskirchenversammlung eingerichtet. Dort finden sich weitere Informationen zu der Ausstellung, ihrer Eröffnungsveranstaltung und der Broschüre sowie zu weiteren Veranstaltungen der beiden Jubiläumsjahre. Ein besonderes Highlight sind die Interviews mit namhaften Historiker*innen wie Hélène Miard-Delacroix (externer Link), Sir Christopher Clark (externer Link) und dem emeritierten Tübinger Professor Dieter Langewiesche (externer Link), die ihre Sicht auf die Paulskirche, die Verfassung, die europäischen Revolutionen von 1848/49 und die Erinnerung an diese Ereignisse darlegen.

 

Ein Beitrag von Clara Müller

 

 


Literaturhinweise:

 

Alle hier angeführten Informationen stammen aus der bereits erwähnten Broschüre zur Ausstellung, abrufbar unter:  https://www.bundestag.de/ausstellung/reichsverfassung (externer Link, 18.05.2023). Zudem bietet die Broschüre nicht nur weiterführende und ausführlichere Informationen zum Thema, sondern auch Bilder und Fotographien von Dokumenten und Akteur*innen.

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