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Public History: Der Freie Historiker Moritz Hoffmann im Interview

Bild: Lizenz von Moritz Hoffmann.
Bild: Lizenz von Moritz Hoffmann.

Wie bist du zum Fach Geschichte gekommen?

Das Interesse für Geschichte war schon immer da. Serien wie „Es war einmal der Mensch“ und Fernsehdokumentationen zu historischen Themen – auch als es nur drei Programme gab – haben mich schon immer fasziniert. An meiner Schule kam der Geschichte-LK leider nicht zustande, da war dann ein erster Bruch. Ich habe erst Geschichte und Germanistik in Leipzig, dann Geschichte mit Nebenfach Musikwissenschaften in Bonn studiert. In Heidelberg habe ich dann Geschichte mit Schwerpunkt in der Zeitgeschichte und Amerikanischer Geschichte studiert.
Nach einem 3,4er Abi und drei Jahren ich würde fast  „erfolglosen Studierens“ sagen – ich hatte schon begonnen, mich nach Perspektiven außerhalb der Universität umzusehen – habe ich im Masterstudium, in einem so begrenzten Feld, das nicht so überlaufen ist, gemerkt, dass ich das eigentlich ganz gut kann.

 

 

Wie bist du zur Public History gekommen?

Public History war mir, bevor ich nach Heidelberg gekommen bin, eigentlich überhaupt kein Begriff. Den Zugang habe ich dann über die Kombi Internet und Geschichte bekommen: Das hab‘ ich eigentlich ganz lange nicht zusammengekriegt: Ich bin seit 1998 online, 2002 hatte ich meinen ersten Blog (das hat das Netz übrigens tatsächlich vergessen!), ich war relativ viel bei Facebook, im April 2008 bei Twitter. Dass ich das ja auch irgendwie mit Geschichte machen könnte, ist mir dann 2010/2011 aufgefallen. Da war aber noch kein Masterplan dahinter.

Zur Public History selbst kam ich dann eigentlich erst über meine Abschlussarbeit, die ich an der Professur für Public History geschrieben habe. Und dann sind ganz viele Würfel zusammen gefallen: Ich bekam die Stelle für die Vorstudie des Landesministerien-Projektes, dann kam das Twitter-Projekt und dessen Erfolg. Dadurch hatte ich auch den Fuß in der Tür. Man muss aber auch sagen, wenn ich im August 2013 gesagt hätte „Ne, ich bekomme bald ein Kind, ich mache hier jetzt nicht ein unbezahltes Twitter-Projekt“, dann hätte das wahrscheinlich alles so nicht funktioniert.

 

 

Was ist Public History für dich?
Das kommt wohl davon, dass ich mehr aus der Praxis komme, als aus der Wissenschaft. Für mich – aber wirklich nur für mich ganz persönlich – ist Public History Geschichte mit und für eine Öffentlichkeit, die nicht dazu gezwungen wird, sich mit Geschichte zu befassen. Der Zwang ist also das entscheidende Merkmal. Für mich ist es also eher eine Arbeitstechnik.

Ich bin da ja in einem echt großen Spannungsfeld: Viele Public Historians in Europa beispielsweise begreifen Geschichtsdidaktik eindeutig auch als Public History, was ich überhaupt nicht so sehe. Ich verstehe, dass die Geschichtsdidaktik für die Wirkungsforschung in der Geschichtswissenschaft total relevant ist, um zu untersuchen, wie das überhaupt in der Schule stattfindet. Das bringe ich aber nicht unters Dach der Public History.

 

 

Arbeitsalltag aktuell?

Mein Arbeitsalltag unterscheidet sich kaum zwischen Corona und Nicht-Corona. Ich arbeite von zu Hause aus, passe auf die Kinder auf. Das einzige, was sich verändert hat: Ich arbeite jetzt mehr vom Esstisch als vorher am Schreibtisch.

Ich bin sehr frei in meiner Zeitgestaltung, das ist Fluch und Segen zugleich. Was genau ich dann mache, kommt auf das Projekt an. Es ist immer sehr viel Koordinationsarbeit, also ich würde schätzen: 20% der Arbeitszeit gehen für Meetings, Telefonate, Emails drauf, 20% sind Verwaltung, also Umsatzsteuervoranmeldung und solche Sachen und der Rest teilt sich dann auf. Wobei ich da aber auch mitzähle, was ich als Hobby werten würde, wenn ich etwas ganz anderes arbeiten würde, also Podcasting zum Beispiel. Einfach, weil es Teil meiner Selbstpromotion ist und auch Teil meiner Fortbildung. Am Ende arbeite ich manchmal in einer Woche 10 und manchmal 70 Stunden.

 

 

Wann hast du angefangen als Freier Historiker zu arbeiten?

Angefangen habe ich am 1. März 2016. Ich kann das exakt so sagen, weil ich zum 1. Dezember 2015 arbeitslos wurde, da ich meinen Vertrag an der Uni habe selbst auslaufen lassen. Dann habe ich einen Antrag auf Gründungszuschuss bei der Arbeitsagentur gestellt. Das kann ich jedem empfehlen, der frisch aus der Uni kommt, arbeitslos ist und denkt, er könnte sich vielleicht selbstständig machen: Man schreibt einen Businessplan – das muss man auch erstmal lernen – man macht sich Gedanken, wie viel man ausgibt und wie viel man einnehmen muss und so weiter. Der ist dann im Februar 2016 angenommen worden und dann habe ich sechs Monate lang das ALG I weiterbezahlt bekommen.

Den ersten Auftrag hatte ich schon vorher. Da ging es um die Beratung für den Internetauftritt des LSBTTIQ-Baden-Württemberg-Projektes. Da habe ich mich dann drangesetzt während dieser Zuschuss lief. Und ab da lief das dann eigentlich alles ziemlich glatt durch.

Dabei habe ich nur einmal richtig „Kaltakquise“ gemacht, und zwar bei der Metzgerei Dönninghaus. Das war so: Ich bekam eine Nachricht, Ende November/Anfang Dezember 2018 war das. Bei „fest & flauschig“ hatte Jan Böhmermann über die „arisierte“ Metzgerei Dönninghaus in Bochum geredet. Und Sonntagabend – ich hab‘s dann selbst noch nachgehört – habe ich der Metzgerei eine E-Mail geschrieben. „Da ist offensichtlich noch etwas in eurer Geschichte, von dem ihr noch nicht wisst … ihr könnt dieses Thema am effektivsten befrieden, indem ihr sagt, ihr habt einen Historiker damit beauftragt, das zu erforschen.“ In der Archivarbeit für dieses Projekt habe ich dann wieder Blut geleckt – es macht einfach richtig Spaß! Wenn man da so alte Fotos durchstöbert und dann ein Bild von dem Mann in der Hand hält und sagen kann: „Der war das also“. Das habe ich echt gern gemacht und ich würde gern in Zukunft auch wieder mehr in diese Richtung gehen. Gerade weil es bei Unternehmensgeschichten so eine große Lücke gibt, und zwar bei den mittelständischen Unternehmen. Die können sich keine Aufarbeitung durch eine Geschichtsagentur leisten.

 

 

Was sind die Bereiche deiner Tätigkeit?

Ein kleiner Bereich umfasst inhaltliche Auftragsforschung, wie zum Beispiel das eben genannte Dönninghaus-Projekt. Ein weiterer Bereich ist die Redaktionsarbeit, wie zum Beispiel die Betreuung der Public-History-Weekly-Seite. Außerdem mache ich Social-Media-Arbeit, zum Beispiel arbeite ich seit drei Jahren für das Karl-Marx-Haus in Trier. Außerdem biete ich Beratung für Web-Auftritte an. Das habe ich beispielsweise für die KZ-Gedenkstätte in Dachau oder das LSBTTIQ-Netzwerk Baden-Württemberg gemacht. Ein inhaltlicher Schwerpunkt meiner Arbeit ist Revisionismus und der Umgang mit Falschinformation, historisch aufgeladenem Hass in Netz. Dazu habe ich zusammen mit anderen zum Beispiel das „Geschichts-Check“-Projekt auf die Beine gestellt, das durch die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurde.

 

 

Könntest du noch genauer erzählen, wie es zu diesem inhaltlichen Schwerpunkt kam?

Das Thema haben wir bei der re:publica 2016 gesetzt. Eigentlich hatten Charlotte Jahnz und ich einen Vortrag über die witzigsten und beklopptesten Sachen, die Menschen über Geschichte ins Internet schreiben, geplant. So hatten wir das eigentlich auch eingereicht und haben dann aber gemerkt, dass das Thema Hate Speech auf der re:publica immer größer wurde und dass das, was wir zeigen wollten, dazu eigentlich unter dem Label „Historisch aufgeladene Hassrede“ total gut passt. Dann haben wir kurz vor unserem Vortrag unsere ganze Präsentation nochmal umgeworfen und haben ganz schnell diesen analytischen Begriff „Historische Hassrede“ erfunden (lacht). Sehr gut zeigen lässt sich das an einem Beispiel wie der Bombardierung Dresdens. Da kann man gut zeigen, wie viel Falschinformation da in den Kommentarspalten von Facebook steckt. Diese Falschinfos haben wir dann versucht zu dekonstruieren und verbunden mit der Forderung, dass sich Historiker*innen mehr im Netz einmischen müssen und dass wir eigentlich so etwas wie eine bezahlte „schnelle Eingreiftruppe“ bräuchten, die diese Debatten erkennt, sich einmischt und dazwischen geht und im besten Fall noch ein paar Quellen dazu gibt.

Für den Verein der Open History haben wir dann – gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung – genau das gemacht: Den „Geschichtscheck“. Wir haben auf Social Media mitdiskutiert, eine Homepage gemacht, die heute noch online ist, wo die häufigsten Instrumentalisierungen von Falschinformationen aufgegriffen wurden und haben Workshops ab Schulen gegeben.

Das alles, muss man sagen, haben wir für sehr wenig Geld gemacht, aber Spaß hat‘s trotzdem gemacht! Ich würde das heute alles anders machen, das ist aber glaube ich ganz normal. Es war in jedem Fall ein guter erster Punkt um das Thema „Historische Hassrede“ überhaupt mal so ein bisschen auf den Plan zu bringen.

 

 

Welche Skills braucht es für deine Projekte? Was kannst du, was andere nicht können?

Im Studium gelernt habe ich die historischen Methoden und das kritische Denken. Wir denken immer, das sei selbstverständlich – und verkaufen uns so unter Wert! Aber ich meine, vielen Leuten geht das ab, die keine Geisteswissenschaften studiert haben. Andere Dinge habe ich mir selber beigebracht – auch aus reinem Eigeninteresse: Wie man Wordpress bedient, wie man dort Modifikationen vornimmt, wie man einen Mailserver aufsetzt, alle solche Sachen. Das ging früher vor allem mit trial & error und viel Zeit. Heute gibt’s für alles Tutorials. Das Wichtigste ist aber, dass man Spaß dran hat. 

In der Arbeit mit Social Media ist noch besonders, dass meine Expertise 2016, als ich damit angefangen habe, noch ein Alleinstellungsmerkmal war. Die Generation, die da jetzt nachkommt, die macht das deutlich länger und nimmt das als selbstverständlich wahr. Das ist auch okay und gut so. Auf Tiktok beispielsweise bin ich noch nicht. Im Karl-Marx-Haus in Trier gibt es in normalen Jahren einen hohen Anteil an chinesischen Besuchern und da müssen wir dann offen darüber diskutieren. Aber ich muss sagen, ich fühle mich da nicht so zuhause, wie auf Twitter. Es ist einfach ein visuelles Medium. Wenn da aber Leute nachkommen und guten historischen Content auf Tiktok machen würden, würde ich mich darüber sehr freuen!

 

 

Wie wichtig ist es in deinem Beruf, auf Social Media präsent zu sein und sich dort auch zu äußern?
Twitter ist sehr wichtig, weil ich da mit meinem Namen und dem Profil, das ich mir da gebildet habe, in den Köpfen der Leute stecke. Und wenn sich beispielsweise eine Stiftung überlegt: „Wir müssten mal was über AfD und Geschichtspolitik machen!“, dann haben die gleich im Kopf: „Da gibt’s doch den einen Historiker, der macht das ohnehin schon, der hat quasi einen Informationsvorsprung vor allen, die wir sonst damit beauftragen könnten.“

Bei Twitter gibt es außerdem eine ziemliche Überrepräsentation von Journalist*innen. Wenn man da präsent ist und sich fundiert äußert und nicht das nachplappert, was eh schon alle sagen, dann bleibt man Journalist*innen im Kopf. Dann fragen sie einen auch mal an, wenn sie etwas brauchen. Und die Sachen wiederum lesen dann auch gern mal Leute, die Aufträge zu vergeben haben. Dafür ist Twitter sehr hilfreich, weil sich dort Sachen so gut weiterverbreiten lassen.

 

 

Was würdest du Leuten raten, die sich als Historiker*in in diesem Bereich selbstständig machen wollen?

Wichtig ist: Man muss sich klar machen, dass das kein fester Job ist, dass es da keinen bezahlten Urlaub gibt und wenn man krank ist, verdient man einfach kein Geld.

Wenn man damit leben kann, ist grundsätzlich glaube ich das Wichtigste: Überlegt euch, was ihr gerne macht und was ihr auch gut könnt oder etwas, von dem ihr euch gut vorstellen könnt, dass ihr es gut lernen könnt. Und macht dann aber auch genau das und überlegt nicht, was jetzt gerade gefragt ist. Außerdem: Netzwerken, ganz viel netzwerken, mit Leuten reden, Leute kennenlernen, sicher gehen, dass die Leute einen im Hinterkopf behalten, mit dem, was man kann.

Man muss dafür, so glaube ich, nicht in Berlin wohnen. Ich kann aus dem Punkt, dass ich in der kurpfälzischen Provinz wohne, auch einen Vorteil machen. Man kann von da aus auch mal den Blick auf den ländlichen Raum richten, der oft vergessen wird.

  

 

Vielen Dank für das Interview!

Ein Beitrag von Anna Valeska Strugalla

 


Weiterführende Links (externe Links, letzter Aufruf am 19.10.2020):

Website von Moritz Hoffmann: https://www.moritz-hoffmann.de/

Twitter-Account von Moritz Hoffmann: https://twitter.com/moritz_hoffmann


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