Hochzeiten und Feste ohne elsässischen Wein? In Württemberg im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit undenkbar! Die Württemberger importierten Rebsorten aus ihren linksrheinischen Besitzungen, deren Qualität den lokalen Neckarwein deutlich übertraf. Doch der Wein war weit mehr als ein reines Genussmittel – er verband Württemberg wirtschaftlich, politisch und kulturell mit dem Elsass und der Burgundischen Pforte. Diese engen Beziehungen standen im Mittelpunkt der deutsch-französischen Tagung „Au-delà des frontières / Über die Grenzen“ (25. und 26. Oktober 2024 in Horburg-Wihr).
Sie spannte den Bogen von den Anfängen der württembergischen Herrschaft im Elsass bis zu den tiefen transrhenanischen Verflechtungen im 17. Jahrhundert und schloss damit an die Jubiläumsausstellung „Württemberg und das Elsass. 700 Jahre gemeinsame Geschichte“ an.

Vor 500 Jahren: Württemberg und das Elsass zwischen Bauernkrieg und Reformation
Im Jahr 1525 gab es Aufruhr im Elsass[1]: Herzog Ulrich von Württemberg (1487–1550) war 1519 vom Schwäbischen Bund aus Württemberg vertrieben worden und hatte sich nach Montbéliard an der Burgundischen Pforte zurückgezogen. Von dort aus mobilisierte er gegen die habsburgische Regentschaft und verbündete sich mit mehreren Bauernhaufen. Schon ab Ende 1524 waren die Habsburger und der Schwäbische Bund alarmiert, als Ulrich von Hohentwiel aus drohte, die rechtsrheinischen württembergischen Gebiete zurückzuerobern. Auch das Elsass blieb davon nicht unberührt. Zwar war die Region bis Mitte April 1525 erstaunlich ruhig, doch nach den Nachrichten vom Bauernaufstand rechts des Rheins,[2] entluden sich die Spannungen in spontanen gewaltsamen Ausschreitungen gegen religiöse Institutionen. In der Woche nach Ostern (16. April) begann sowohl im Elsass als auch zeitgleich an der Burgundischen Pforte der allgemeine Aufstand. Der Historiker Georges Bischoff (Straßburg) vermutet deshalb eine koordinierte und gut vorbereitete Aktion. Bald schlossen sich die verschiedenen aufständischen Bauernhaufen zusammen. Dabei fanden sich württembergische Untertanen unter anderem im Haufen von Ebersmunster.
Die zentralen Forderungen der Aufständischen waren in den Zwölf Artikeln von Memmingen[3] (Abb. 1) niedergeschrieben: Eine Reform der Kirche zur freien Wahl der Pfarrer und ein Unterbinden des Missbrauchs des Kirchenzehnten. Die Unruhen richteten sich auch gegen die weltliche Obrigkeit – so äußerte beispielsweise der Bürger Lux Reimbold aus Hunawihr gegenüber dem Schultheis und dem habsburgischen Vogt Sebastian Linck zu Ensisheim: „ich schiss uff dich und den vogt zu Richenwyler was haben wir mit uch zuschaffen“.[4] Diese wiederum hatten Mühe, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Im Mai eroberten die aufständischen Haufen mehrere Orte, die sich noch nicht den Zwölf Artikeln von Memmingen angeschlossen hatten. Schließlich entlud sich der Aufstand am 20. Mai 1525 in der Schlacht von Scherwiller (Scherweiler) und endete mit einem Massaker durch die Truppen des Herzogs von Lothringen.[5] Die Aufständischen unterwarfen sich bedingungslos. Städte, die sich dem Aufruhr angeschlossen hatten, wurden verpflichtet pro Brandschatzung sechs Gulden zu zahlen. Ulrich selbst jedoch wurde von Repressionen ausgenommen, ab Ende 1525 ist sogar eine Normalisierung seiner Beziehungen zu den Habsburgern festzustellen.

Unübersehbar ist die Verbindung zu den sich gleichzeitig verbreitenden reformatorischen Ideen.[6] Denn im Zuge des Aufstandes wurden reihenweise Seelbücher und kirchliche Archive zerstört. Zudem predigte zeitgleich der in Basel ausgebildete Reformator Guillaume Farel (1489–1569) in Montbéliard gegen die Amtskirche. Zu den Forderungen der Bauern zählte auch die Losung, „das wahre Evangelium zu verkünden“.[7]
Trotz massiver Gewaltausbrüche gegen religiöse Institutionen blieb die Frömmigkeit ungebrochen groß: Zur von Herzog Ulrich unterstützten Erhebung der Reliquien der heiligen Huna in Hunawihr (Hunaweier) am 15. April 1520 kamen etwa 20.000 Pilger. Elisabeth Clementz (Straßburg) zeigte auf, dass dieser Ausdruck der Volksfrömmigkeit allerdings Spannungspotenzial barg: Huna wurde als Fürsorgende der Armen lokal verehrt, jedoch nie kanonisiert. In der Reformation wurde ihr Kult verboten, allerdings sind Pilger bis ins frühe 17. Jahrhundert belegt. (Abb 2.)[3]
Der Bauernkrieg fällt mit der von Benoît Jordan (Straßburg) identifizierten ersten Phase der Reformation im Elsass zusammen: Zwar wurde die althergebrachte Ordnung wiederhergestellt, allerdings wurden immer mehr Pfarreien mit lutherischen Pfarrern besetzt und Klöster wurden geschlossen. Dabei spielten die Zentren eine wichtige Rolle: Ausgehend von Basel, Zürich und Mülhausen wurden sukzessiv weitere Städte reformiert, darunter Straßburg zwischen 1523 und 1525.[8] In einer zweiten Phase von 1525 bis 1547 entwickelten sich mehrere Strömungen parallel. Diese konkurrierten auf verhältnismäßig kleinem Raum: Martin Bucer aus Straßburg, Zwinglianer und Calvinisten aus Zürich und Basel sowie Lutheraner übten Einfluss auf die württembergisch-linksrheinisch Gebiete aus. Das lässt sich am Beispiel von Riquewihr (Reichenweier) zeigen: Unter dem Einfluss des ab 1535 dort predigenden Matthias Erb (1494–1571) wurde die Stadt zunächst calvinistisch, 1550 führte allerdings Herzog Christoph (1515–1568, r. 1550) das Luthertum ein. Erb verließ schließlich 1561 die Stadt und siedelte nach Ribeauvillé (Rappoltsweiler) über.
Schließlich, in einer dritten Phase vom Augsburger Interim von 1547 bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555, vereinheitlichten sich die reformatorischen Strömungen im Elsass: mit dem Regierungsantritt Herzog Christophs wurden die württembergischen Gebiete links des Rheins lutherisch und die Ausrichtungen treten geschlossener geformt hervor.
Formiert um den Dreh- und Angelpunkt des Jahres 1525 erhielt das Elsass in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein neues religiöses und politisches Profil. Benoît Jordan betonte, dass diese Neuorganisation als pluraler Prozess zu verstehen sei, in dem unterschiedliche reformatorische Ansätze parallel wirkten.
Die Anfänge der württembergischen Herrschaft im Elsass
Die Tagung blickte von diesem zentralen Ereignis zurück auf die Anfänge der Herrschaft der Grafen von Württemberg im Elsass, die am 7. Dezember 1324 den Brüdern Walther und Burchard von Horburg ihre Herrschaft abgekauft hatten. Bernhard Metz (Straßburg) rekonstruierte aus der dünnen Quellenüberlieferung die Besitzverhältnisse über die vielen Güter, über die die Horburger schon im 13. Jahrhundert verfügten. Diese waren in komplexe Lehnsbeziehungen mit den Bischöfen von Straßburg und Basel, den Habsburgern und den Herzögen von Lothringen eingebunden und reichten zeitweise weit über die 1332 endgültig an Württemberg gefallenen Gebiete hinaus. Den Kauf von 1324 ordnete Erwin Frauenknecht (Stuttgart) im Anschluss in die territoriale und dynastische Politik Graf Eberhards I. (1265–1325) ein. Denn erst durch die Heirat seines Sohnes, Graf Ulrich III. (1286/1291–1344) mit Sophie von Pfirt (1293–1344) hatten die Württemberger die finanziellen Mittel erhalten, um den Kaufpreis von 4.400 Silbermark aufzubringen.
Im fünfzehnten Jahrhundert intensivierten sich die Beziehungen zwischen den württembergischen Gebieten links und rechts des Rheins. Anhand von Rechnungen über Wein- und Getreidetransporte zeigte André Bouvard (Straßburg), wie sich die Verbindung zwischen Montbéliard und Riquewihr zur Zeit Graf Heinrichs (nach 1446–1519) stärkte. Heinrichs Versuche einer eigenständigen linksrheinischen Politik scheiterten jedoch, 1490 wurde er auf dem Hohenurach von seinem Cousin Graf Eberhard V. (1445–1496) inhaftiert. Peter Rückert (Stuttgart) nahm anschließend den eingangs erwähnten Elsässer Wein in den Blick: Riquewihr hatte sich seit dem 13. Jahrhundert zu einem Zentralort des Weinhandels entwickelt und die Württemberger generierten aus ihren dortigen Weinbergen bedeutende Einkünfte. Dieser Wein wurde bei Festen in den rechtsrheinischen Residenzstädten großzügig und in verschiedenen Qualitätsstufen ausgeschenkt. 1488 wurde die enorme Summe von 20 Gulden für einen einzigen Transport veranschlagt. Wein war nicht mehr nur wirtschaftlicher Faktor, sondern wurde zum Statussymbol, mit dem sich Württemberg gegenüber anderen Fürstenhäusern profilierte.[4]

Verflechtungen in der Frühen Neuzeit
Nach unserem Scharniermoment von 1525 bildeten die linksrheinischen Gebiete für die Württemberger eine bedeutende Machtreserve. Das komplexe politische Verhältnis der Großmächte zwischen Oberrhein und Burgundischer Pforte eröffnete den Württembergern um 1600 neue politische Spielräume. Wolfgang Mährle (Stuttgart) arbeitete heraus, wie Herzog Friedrich (1557–1608) diese Situation gezielt nutzte, um seine Gebiete zu konsolidieren und im Prager Vertrag von 1599 ihren Status als Reichslehen wiederherzustellen. Allerdings scheiterten ambitioniertere Projekte wie die Errichtung einer Landbrücke zum württembergischen Kernterritorium, da insbesondere Spanien und damit die Habsburger – an der Sicherung ihrer Verbindungswege in die Niederlande interessiert – sich gegen Friedrichs Politik stellten.
Auch kulturell vertieften sich die Verbindungen: Louis-David Finkeldei (Freudenstadt) bezeichnete die Regierungszeit von Georgs II. von Württemberg-Mömpelgard (1626–1699), als eine letzte große kulturelle Blüte unter den Württembergern im Elsass. Horburg wurde unter ihm zur Residenzstadt ausgebaut und Georg kuratierte eine Gemäldesammlung und eine Kunstkammer – einem „Rezeptionsraum der voranschreitenden Globalisierung im 17. Jahrhundert“(Finkeldei). Parallel entwickelte sich eine grenzüberschreitende Musikkultur am Oberrhein. Mit dem Fokus auf Johann Jacob Froberger (1616–1667) und die Familie Böddecker stellte Joachim Kremer (Stuttgart) die Einflüsse italienischer Komponisten wie Monteverdi lokalen Musiktraditionen gegenüber. So entstand auch für die Musiker ein neuer „Raum der Möglichkeiten“. (Abb. 3)[6]

Zum musikalischen Austausch passte die Darbietung von Hans-Joachim Fuss, Cassio Raffael Caponi, Maik Hanschmann und Roger Gehrig (Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Stuttgart). Sie gestalteten musikalisch den ersten Abend der Tagung. Wie schon bei der Ausstellungseröffnung im März 2024 in Stuttgart, spielten sie Maria zart (vierstimmig instrumental; anonym, um 1500), Maria zart (Dreistimmig instrumental; anonym, um 1500) und „Ein klaglied wider fleisch und blůt“ (Graf Georg I. von Württemberg-Mömpelgard, um 1540). Der Text Graf Georgs wurde 1540 in Zürich in einem Gesangsbuch namens „Nüw gsangsbüchle“ abgedruckt und veröffentlicht. Obwohl ohne Melodie aufgezeichnet, konnte es der damals bereits bekannten Melodie des Marienhymnus Maria zart zugeordnet werden. (Abb. 4)[7]

Neue Perspektiven auf alte Verbindungen
Die Tagung deckte ein chronologisch und thematisch breit gefächertes Spektrum an Perspektiven auf die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Württemberg ab. Besonders hervorzuheben ist die Leistung der Tagung, die Zentralität Montbéliards und der elsässischen Besitzungen Württembergs für die Herrschaftsstrategien, die Regierungspraktiken und das Selbstverständnis der Württemberger neu in den Fokus zu rücken und so ein neues Licht auf die Funktionsweise der Grafschaft und des Herzogtums Württemberg zu werfen. Als zentraler Moment, der die Art und Qualität dieser Beziehungen veränderte ließen sich die religiösen und politischen Verwerfungen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts feststellen.
Interessierte, die es nicht abwarten können und die Ausstellung „Württemberg und das Elsass. 700 Jahre gemeinsame Geschichte“ verpasst haben, können sich bis zur Erscheinung des Tagungsbandes Ende 2025 den digitalen Rundgang (externer Link) der Ausstellung sowie den dazugehörigen Ausstellungskatalog[8] (Abb. 5) anschauen.[9]
Ein Beitrag von Josephine Burtey und Clemens Eberlein
Fußnoten:
[1] Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Vortrag von Georges Bischoff (Straßburg).
[2] Zum Bauernkrieg vgl. die Neuerscheinungen von Roper, Lyndal: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525, Frankfurt a. M. 2024; Schwerhoff, Gerd: Der Bauernkrieg. Eine wilde Handlung, München 2024; Kaufmann, Thomas: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis. Freiburg u.a. 2024. Für die ältere Literatur ist grundlegend: Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, 4. durchges. und bibliogr. erw. Aufl., München 2004 (1. Aufl.: München / Wien 1975). Zum Bauernkrieg in Württemberg vgl. Frauenknecht, Erwin / Rückert, Peter (Hg.): Herzog Ulrich und die Bauern im Krieg von 1525. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Ostfildern 2025. Zum Bauernkrieg im Elsass vgl. Bischoff, Georges: La guerre des Paysans. L’Alsace et la révolution du Bundschuh, 1493–1525, Straßburg 2010.
[3] Vgl. Kaufmann (2024), S. 138. Der Erstdruck der zwölf Artikel wird im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrt: Landesarchiv Baden-Württemberg, HStAS J 9 Bü 12. Dazu auch: Rückert, Peter: Neue Medien für
politische Propaganda. Flugblätter und Flugschriften im Bauernkrieg von 1525, in: Archivnachrichten 67 – Medien. Gut informiert?! (2023), S. 15.
[4] Hier sei auf den Vortrag von Georges Bischoff verwiesen, der einen Bericht des Vogtes Sebastian Linck als Hauptquelle heranzieht.
[5] Anton II. von Lothringen (1489–1544).
[6] Die Ausführungen zur Reformation basieren auf dem Vortrag von Benoît Jordan (Straßburg). Vgl. allgemein zur Reformation im Elsass vgl. u.a. Greschat, Martin: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491 – 1551), 2. Aufl., Münster 2009.
[7] Vgl. u.a. Kaufmann (2024), S. 150.
[8] Vgl. Rapp, Francis : Réforme et réformation à Strasbourg. Église et société dans le diocèse de Strasbourg (1450–1525), Paris 1974.
[9] Frauenknecht, Erwin / Rückert, Peter (Hg.): Württemberg und das Elsass – 700 Jahre gemeinsame Geschichte. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart = L' Alsace et le Wurtemberg – 700 ans d'histoire commune. Catalogue de l'exposition du Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Ostfildern 2024.
Abbildungen:
Abb. 1: Die Zwölf Artikel von Memmingen, http://www.bauernkriege.de/artikel.jpg, Public domain, via Wikimedia Commons.
Abb. 2: Elisabeth Clementz. Foto: (C) Josephine Burtey.
Abb. 3: Joachim Kremer. Foto: (C) Josephine Burtey.
Abb. 4: Die musikalische Darbietung. Foto: (C) Josephine Burtey.
Abb. 5: Der Ausstellungskatalog. (C) Hauptstaatsarchiv Stuttgart.
Infospalte
Kennen Sie schon...?
Kennen Sie schon...?
Kloster, Königsschloss Parlament - Eine kleine Geschichte Bebenhausens im 20. Jahrhundert
Verwandte Themen:
Kommentar schreiben