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Der unbekannte Baumeister Baden-Württembergs


Bild: Aila Sadowski.
Bild: Aila Sadowski.

8. Mai 1945: Mit der Kapitulation Deutschlands fand der Zweite Weltkrieg ein Ende. Damit einhergehend kam eine neue Aufgabe: Die Aufgabe das Land zu stabilisieren und langsam in eine funktionierende Demokratie zu führen. Nach langer Planung teilten die Siegermächte, die Sowjetunion, die USA, Frankreich und Großbritannien Deutschland in vier Besatzungszonen auf.[1] Während ganz Ostdeutschland zur Besatzungszone der Sowjetunion wurde – abgesehen von Berlin – wurde der Westen dreigeteilt. Im Westen wurde das Ziel der Demokratisierung verfolgt; um dies leichter zu gestalten, wurden die Besatzungszonen in einzelne Länder aufgeteilt. Innerhalb dieser Länder wollten die Alliierten Hand in Hand mit deutschen Politikern für den Wiederaufbau arbeiten. Eine Problematik dabei: Viele Politiker waren durch eine nationalsozialistische Vergangenheit vorbelastet und so erstellten die Alliierten eine „weiße Liste“[2] mit Namen von Persönlichkeiten, die dafür bekannt waren, demokratisches Handeln zu befürworten. Ein Name auf dieser Liste war Reinhold Maier.

 

Doch wer war Reinhold Maier?                                                                                                                                                    

Reinhold Otto Maier wurde am 16. Oktober 1889 in Schorndorf geboren und absolvierte 1907 sein Abitur in Stuttgart. Danach studierte er Rechtswissenschaften erst in Grenoble (Südfrankreich) und danach in Tübingen. Während des Ersten Weltkrieg diente er als freiwilliger Soldat und arbeitete danach zehn Jahre lang als Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei Löwenstein & Kiefe[3] in Stuttgart. Bereits davor, genauer gesagt 1918, begann Maiers politische Karriere. Er war Mitglied in der DDP – der Deutschen Demokratischen Partei. 1930 beendete er vorläufig seinen Beruf als Rechtsanwalt und bekleidete das Amt des Wirtschaftsministers in Württemberg. Seine Politik brachte ihn 1932/33 in den Reichstag, doch hier blieb Maier nicht allzu lange.[4] Da er schon seit 1929 mit einer jüdischen Frau verheiratet war und ebenfalls zwei Kinder mit ihr hatte, wurde ihm Mitte des Jahres 1933 das Reichstagsmandat von den Nationalsozialisten entzogen und Maier kehrte in seinen ursprünglichen Beruf zurück. Um seine Frau und die beiden Kinder zu schützen, schickte er sie nach England in Sicherheit und ließ sich vorerst scheiden, um weiteren Schwierigkeiten mit den Nationalsozialisten aus dem Weg zu gehen. [5] Sein Plan ging nicht vollends auf. Maier durfte ab 1944 als bekennender NS-Gegner nicht mehr seinem Beruf nachgehen und musste Kriegsdienst in Form von Zwangsarbeit leisten. Zu dieser Zeit lebte er schon bei einem Freund in Schwäbisch Gmünd, da sein Haus in Stuttgart zerstört wurde. Sein Freund Otto May war der Leiter eines Rüstungsbetriebes und ließ Maier dort auch arbeiten. Damit waren die Nationalsozialisten zufrieden gestellt. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges und die Trennung von seiner Familie überstand Reinhold Maier vor allem mit Hilfe der Natur und seiner Liebe zum Wandern: „Es mag Sommer oder Winter, Frühling oder Herbst sein, stets weckt die Lieblichkeit dieses Ausblicks das Gefühl geradezu eines Stückes körperlicher Wärme.“[6] Noch bevor die Alliierten Reinhold Maier mit Hilfe der Liste aufgesucht hatten, wurde er gebeten, den Landrat zu beraten. Am 07.08.1945 trafen vier amerikanische Offiziere in Schwäbisch Gmünd ein. Sie wollten nicht nur die Hilfe von Maier für die Bildung einer neuen Landesregierung von Nord-Württemberg und Nord-Baden, sondern auch ihn als Ministerpräsidenten. Seine erste Entscheidung würde die Wahl der anderen Politiker betreffen, die bis zur ersten freien Wahl mit ihm und den Allliierten kooperativ regieren würden. Er nahm die Aufgabe an und sah darin seine Bestimmung:

 

"War es eine Bestimmung des Schicksals, daß [sic!] ich die zwölf fürchterlichen Jahre überleben sollte, so fühlte ich es auch als eine Bestimmung, daß [sic!] die Amerikaner nach einer sorgfältigen Personenauswahl, wie sie ihnen eigen ist, von drei Millionen Württembergern gerade auf mich verfallen sind."[7]

 

Einen Monat später wurde sein zusammengestelltes Kabinett von General Eisenhower bestätigt und als ehemaliger Lokalpolitiker setzte Maier sich besonders für die Bevölkerung ein und gab alles, um das künstlich geschaffene Bundesland Württemberg-Baden zusammenzuhalten. Zu dieser Zeit war dies keine leichte Aufgabe, denn der Zweite Weltkrieg hinterließ viel Chaos. Maiers Politik führte dazu, dass er im Dezember 1946 zum ersten gewählten Ministerpräsidenten von Württemberg-Baden wurde[8]. Während seiner Amtszeit stand er maßgeblich hinter der Vereinigung von Württemberg-Baden und -Hohenzollern. Zusammen mit den beiden anderen Ministerpräsidenten Leo Wohleb (Baden) und Gebhard Müller (Württemberg-Hohenzollern) beschäftigte sich Maier mit der sogenannten Südweststaatsfrage, doch kamen sie anfangs zu keinem Ergebnis. Bis es so weit war, mussten sich die Länder unter anderem auch mit dem Bundeskanzler Konrad Adenauer einigen. Dieser war grundsätzlich gegen einen Südweststaat. Für Adenauer war dadurch die Mehrheit der Bundesregierung im Bundesrat gefährdet. Um dies zu umgehen, wurden vier Abstimmungsbezirke gebildet und somit brauchte es nicht nur im ganzen Abstimmungsgebiet die Mehrheit, sondern auch innerhalb drei dieser Abstimmungsbezirke. Nachdem 1951 bei der Volksabstimmung mit 70 Prozent für den Südweststaat gestimmt wurde, wurde ein Jahr später in der verfassungsgebenden Versammlung der erste Ministerpräsident gewählt. Obwohl seine Partei nicht die stärkste war, gewann Reinhold Maier gegen den CDU-Politiker Gebhard Müller. Er war der erste gewählte Ministerpräsident des vereinigten Landes Baden-Württemberg und gab die geglückte Vereinigung im Zuge seines Wahlsieges bekannt.[9] Trotz dieses Erfolges und seiner langjährigen Tätigkeit kennt kaum jemand den Namen Reinhold Maier. Es gibt heute kaum Formen überregionalen öffentlichen Erinnerns an Maier. Dieses Phänomen scheint jedoch normal gewesen zu sein für die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, auch an seine Kollegen Leo Wohleb und Gebhard Müller wird nur mit Straßennamen und einer kaufmännischen-Schule, der Gebhard-Müller-Schule Biberach,[10] erinnert.

Einzig seine Heimat Schorndorf erinnert aktiv an Reinhold Maier mit dem Namen einer Grundschule. In seinem Namen verleiht die Reinhold Maier Stiftung außerdem Ehrungen an Menschen, die sich politisch für Liberalismus und die Freiheit stark machen. Zusätzlich brachte die Stadt Schwäbisch Gmünd anlässlich des 60. Vereinigungsjubiläums eine Gedenktafel an die Außenwand des Hauses in der Bocksgasse an, in dem Maier während des Zweiten Weltkriegs lebte.    

 

Maiers gesamte Zeit als Ministerpräsident belief sich auf den Zeitraum von April 1952 bis Oktober 1953. Anschließend war er weiterhin politisch aktiv und besetzte unterschiedliche Posten für die FDP. Er veröffentlicht zu dem drei Bücher: „Bedrängte Familie“ (1962), „Ein Grundstein wird gelegt“ (1964) und „Erinnerungen 1948–1953“ (1966). Diese Jahre nutzte er ebenso, um sich vollends aus der Politik zurückzuziehen. Reinhold Maier verstarb 1971 im Alter von 82 Jahren. [11]

 

Heute kann man nur Vermutungen darüber anstellen, warum so wenig an Reinhold Maier und auch an seine Kollegen erinnert wird. So könnte es daran liegen, dass Deutschland sich lange Zeit schwer getan hat mit der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit noch immer schnell in den Hintergrund rutscht. Es ist und wird immer unsere Verpflichtung sein, an diese schreckliche Zeit zu erinnern, und dazu gehört auch die Erinnerung an Männer der Nachkriegszeit, wie Reinhold Maier. Sein politisches Wirken in der Nachkriegszeit hat maßgeblich dazu geführt, dass Baden-Württemberg heute so existiert, wie wir es kennen.  

 

Ein Beitrag von Aila Sadowski


Literaturverzeichnis:

Müller, Ulrich: Die Zeit Reinhold Maiers in Ostwürttemberg, In einhorn Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 2006, einhorn Verlag + Druck GmbH, Schwäbisch Gmünd, 2006.

 

Wuermlinger, Henric L.: Die weiße Liste und die Stunde Null in Deutschland 1945: Originaldokumente in englischer Sprache und mit deutscher Übersetzung, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München, 2015.

 

Maier, Reinhold (Hrsg. Dva): Ein Grundstein wird gelegt, München, 1964.

 

Maier, Reinhold (Hrsg. Fingscheidt, S.): Ende und Wende – Briefe und Tagebuchaufzeichnungen 1944–1946, Wuppertal, 2004.

 

Fußnoten: 

[1] Vgl. Wilfried Loth: Die Deutschlandplanung der Sieger, Bundeszentrale für politische Bildung, 29.04.2005, URL: https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/dossier-nationalsozialismus/39616/die-deutschlandplanung-der-sieger/ (29.01.2023).

[2] Vgl. Wuermlinger, Henric L.: Die weiße Liste und die Stunde Null in Deutschland 1945: Originaldokumente in englischer Sprache und mit deutscher Übersetzung, München, 2015.

[3] Vgl. Reinhold Maier Stiftung Baden-Württemberg, URL: https://reinhold-maier-stiftung.de/content/reinhold-maier (10.02.2023).

[4] Vgl. Müller, Ulrich: Die Zeit Reinhold Maiers in Ostwürttemberg, In: einhorn Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 2006, Schwäbisch Gmünd, 2006, S. 133.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. Maier, Reinhold: Ein Grundstein wird gelegt, München, 1964, S. 19.

[7] Vgl. Maier, Reinhold: Ende und Wende, Wuppertal, 2004, S. 288.

[8] Vgl.  Müller, Ulrich: Die Zeit Reinhold Maiers in Ostwürttemberg, In einhorn Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 2006, Schwäbisch Gmünd, 2006, S. 142.

[9] Vgl. Baden-Württemberg.de, URL: https://www.baden-wuerttemberg.de/de/unser-land/geschichte/entstehung-des-suedweststaats (29.01.2023).

[10] Vgl. Website der Gebhard-Müller-Schule, URL: https://gms-bc.de/ (17.02.2023).

[11] Vgl. Reinhold Maier Stiftung Baden-Württemberg, URL: https://reinhold-maier-stiftung.de/content/reinhold-maier (10.02.2023). 

 


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