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Kolonialwarenläden in Tübingen


Eine Kolonialwarenhandlung an der Wilhelmstrasse in Tübingen um 1908. Bild: Verlag Heinrich Sting, Public domain, via Wikimedia Commons.*
Eine Kolonialwarenhandlung an der Wilhelmstrasse in Tübingen um 1908. Bild: Verlag Heinrich Sting, Public domain, via Wikimedia Commons.*

In der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft (1884–1919) florierte der Kolonialwarenhandel in Tübingen, dessen Einwohnerzahl von 15.000 um die Jahrhundertwende auf knapp 20.000 Einwohner*innen nach dem Ersten Weltkrieg stieg. Existierten 1887 in der kleinen Universitätsstadt am Neckar lediglich neun Ladengeschäfte mit einem größeren Warensortiment an Kolonialwaren, so waren es zur Jahrhundertwende bereits zwölf Ladengeschäfte. 1912 gab es um die zwanzig Kolonialwarenhandlungen. Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Verlust der Kolonien begannen Jahre der Stagnation. Erst Mitte der 1920er Jahre erhöhte sich die Zahl der Kolonialwarengeschäfte wieder, die ihr Angebot nun aus den Kolonien anderer europäischer Staaten, aus Süd- und Mittelamerika deckten. In den 1930er Jahren nahm der Kolonialwarenhandel rasant zu. 1932 waren fast 70 Kolonialwarenhandlungen verzeichnet, sieben davon als Großhandlungen wie die Firma Baur & Feucht in der Uhlandstraße oder jene des in vielen Vereinen aktiven Kaufmanns Carl Flammer am Holzmarkt. 1938 konnte die Tübinger Stadtgesellschaft aus beinahe hundert Kolonialwarengeschäften auswählen.

 

Während Erzeugung, Transport und Konsum von Kolonialwaren gut erforscht sind, wissen wir über den Kolonialwarenladen als Treffpunkt von Kolonialfreund*innen nur wenig. Der Kolonialwarenladen war ein Ort, der den Kolonialismus greifbar werden ließ. Typisch war für die Kolonialwarengeschäfte ein gemischtes Sortiment. Neben Kaffee, Schokolade, Kakao und Gewürzen vertrieben sie Wein, Spirituosen und Tabak. Manche handelten mit Südfrüchten (Bananen und Citrusfrüchte), andere verkauften Farben- oder Eisenwaren. Die Spezerei- und Colonialwarenhandlung Albert Roos in der Uhlandstraße 5 erfreute Kund*innen neben dem handelsüblichen Sortiment mit direkt importierten Teesorten und Zigarren. Außerdem betrieb der Eigentümer ein großes Lager mit Woll-, Baumwoll- und Kurzwaren. Die Firma Baur und Bräuning war im Kolonialwarenhandel und Bankwesen tätig. Sehr häufig wurden sowohl Kolonialwaren als auch Delikatessen verkauft.

 

In den Regalen reihten sich Verpackungen mit Bildern von schwarzen Arbeiter*innen und weißen Plantagenbesitzern, von rassistisch überformten Karikaturen von Afrikaner*innen und leichtbekleideten „Südseemädchen“. An so einigen Tresen lagen Informationsbroschüren und Werbung aus, Handzettel verwiesen auf anstehende Kolonialvorträge und Ausstellungen. Zumindest im Kaiserreich dürften einige der Kolonialwarenläden den Kund*innen eine Anlaufstelle geboten haben, wo sie ihre Vorurteile über die Kolonisierten pflegen und sich über die Kolonialpolitik der Regierung auslassen konnten. Allerdings wandelten sich viele Kolonialwarenläden in der Zwischenkriegszeit zu gewöhnlichen Krämer- oder Gemischtwarenläden. Die wachsende Nachfrage nach Kolonialwaren aus den Kolonien anderer europäischer Staaten und aus Lateinamerika gedeckt. Zugleich existierten Kolonialwarenläden, die das Kaiserreich als koloniale Erinnerungsorte überdauerten.

 

Ein Beitrag von Carsten Gräbel

 


Einen Text über Kolonialwarenläden in Tübingen, an dem der Autor mitgewirkt hat, findet sich auch in der Stadtkarte des Stadtmuseums Tübingen. https://www.koloniale-orte-tuebingen.de


*Bild: photographmedium QS:P186,Q125191: Unknown authorUnknown author Publisher: Verlag Heinrich Sting, Public domain, via Wikimedia Commons.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/eb/T%C3%BCbingen._Wilhelmstra%C3%9Fe_%28AK_H_Sting_1908_TPk085%29.jpg

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