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Ein „Lichtblick“ – Filmanalyse auch für Historiker*innen (mit Wünschen)

Eine Hand in weißem Handschuh streicht über eine alte Karte. Österreich vor 1914 soll zu erkennen sein. Die Kamera ist nah dran, die Sequenz ist in Sepiafarben getaucht. Aus dem Off hallt es: „Doch Kaiser Franz Josef weiß, sein Vielvölkerstaat ist in Gefahr.“ Kurz darauf erklärt ein Schüler mit Bezug auf die Szene: „Die Hand des Kaisers ist zu sehen. Er sagt, sein Vielvö…“ Das genügt. Wie es weitergeht, kann man sich leicht ausmalen, der Kaiser also spielt im Film mit. Im Unterricht lässt sich so etwas korrigierend aufgreifen, in der Freizeit nicht.

 

Charlotte Bühl-Gramer spricht im Zusammenhang mit filmischen Produktionen von „Authentizitätsfiktionen“[1]. Populäre Geschichtsdarstellungen versuchen mit allen digitalen Mitteln unterschiedliche Wirklichkeitseffekte zu erzeugen: Orte von damals und heute werden überblendet, einfach so; eine schwarz-weiß Vintage-Tönung mit angedeuteten Kratzern auf dem Filmstreifen suggeriert die Echtheit des Materials; oder Zeitzeugen*innen sollen für die Glaubwürdigkeit des Filmnarrativs stehen, dabei besitzen sie– wenn überhaupt – nur illustrativen Charakter. Kritische Distanz findet sich kaum, Evidenz gar nicht.

 

Junge Menschen haben große Schwierigkeiten, filmische „Kreativität“ und ernsthafte Geschichtsdarstellungen auseinanderzuhalten, geschweige denn Mischformate zu durchschauen.[2] Und dennoch: Filmanalyse wird schulisch betrachtet nur stiefmütterlich behandelt. Obwohl sie curricular eingefordert wird, wird sie nur leidlich durchgeführt. Nach den Gründen braucht kaum gesucht zu werden, sie liegen vor einem: Während bei der Textbearbeitung die Lernenden individuell ihren Text lesen, Passagen also wieder und wieder durchgehen und so ganz eigene Beobachtungen belegen können, ist es aufgrund der technischen Bedingungen bislang kaum möglich (gewesen), von dem didaktisch ziemlich widersinnigen Verfahren abzuweichen: nämlich eine längere Sequenz in der Klasse sich anzuschauen und (weit) zeitversetzt Fragen zur Machart des Films zu beantworten. Es ist nicht möglich, sich die Passagen im langsamen oder schnellen Bildlauf durchzusehen - Szene für Szene, Schnitt für Schnitt und Bild für Bild. So bleibt die kaum zu widerlegende Erfahrung, dass jede Analyse eine hohe Ratewahrscheinlichkeit besitzt. Eine kinoartige Unterrichtssituation kreieren zu müssen, ist eine Notlösung, die der Normalfall ist.

 

Bild: Screenshot, AMMMa. Durch Klicken vergrößern.
Bild: Screenshot, AMMMa. Durch Klicken vergrößern.

Nun, es ist nicht mehr von der Hand zu weisen, dass sich angesichts der zunehmenden Verfügbarkeit von Rechnern mit schnellen Bootzeiten in jedem Klassenzimmer, der Installation von modernen Playern und leicht zu bedienenden Displays in Tafelgröße die Dinge über kurz oder lang ändern könnten. Das sind gute Nachrichten, denn es ist „kaum ein Medium besser geeignet als der Film, SchülerInnen den Konstruktionscharakter von Geschichte anschaulich erfahrbar zu machen.“[3] Geschichte begegnet Jugendlichen in allen Hybridformaten und in Dauerschleifen permanent auf allen Kanälen. Auch wenn man wollte, man kann sich der Begegnung mit Geschichte gerade im digitalen Raum kaum entziehen. „Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht haben bei der Deutung und vor allem der Darstellung von Geschichte also längst ihre Monopolstellung verloren.“[4] Gerade deswegen scheint es geboten, zu handeln. Mobile Endgeräte in Schülerhand und Software, mit deren Hilfe Weboberflächen zu Arbeits- und nicht nur zu Rezeptionsoberflächen gemacht werden, erlauben eine elaborierte Analyse, die bis dato kaum durchführbar war.

 

Es geht um ein Tool, entwickelt von AMMMa, einem Unternehmen, das bereits seit etwa 20 Jahren Erfahrung mit interaktiven Lösungen in pädagogischen Kontexten hat. Mit „Lichtblick“ liegt eine browserbasierte Software vor, die zunächst einmal keine technischen Voraussetzungen verlangt, außer die, einen Rechner mit Boardapplikationen zu besitzen. Schwierigkeiten stellen sich im schulischen Kontext vor allem dann, wenn technische Komponenten aufeinander abgestimmt werden müssen und Datentransferwege umständlich sind (Bereitstellung und Distribution des Filmmaterials etc.). Mit der Browserlösung werden drei schulische Belange bedient, die essentiell sind. Einfacher Zugriff für Schüler*innen und Lehrkräfte, einfache Bedienung, keine Medienbrüche.

 

Bild: Screenshot, AMMMa. Durch Klicken vergrößern.
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Erstens: Auf der Userebene ist keine Anmeldung notwendig. Die Seite wird per Link bereitgestellt und die individuellen Ergebnisse erneut per Linkgenerierung weitergereicht. Eine simple wie durchdachte Lösung. Geht man geschickt damit um, können unterschiedliche Erarbeitungsstände jeweils als Differenzierungsaufgaben bereitgestellt werden. Angesichts des Anmeldemarathons, zu der man mitunter in der Accountverwaltung gezwungen wird, eine praktische Schullösung. Die Filme werden einmalig hochgeladen oder werden eingebettet (streaming). Auch das löst Probleme, für deren Behebung die Schule der falsche Ort ist.

 

Zweitens: „Lichtblick“ ist ein Autorentool und Anwendertool in Personalunion, d.h. die Aufgabenstellung und die Aufgabenbearbeitung finden auf der gleichen Oberfläche mit den gleichen Werkzeugen statt. Produktive und analytische Arbeitsweise sind hier fast nicht auseinanderzuhalten. Ob Screenshot bearbeiten oder Sequenzen erstellen, mit einer kurzen Einarbeitung geht es relativ leicht von der Hand. Darum kommt man nicht herum. Hinterlegt sind außerdem mehrere Filmlexika. Sie können als „Marker“ gesetzt werden, d.h. an der jeweiligen Stelle können gezielt Fachinformationen als eine Art Hyperlink hinterlegt werden.

 

Bild: Screenshot, AMMMa. Durch Klicken vergrößern.
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Drittens: Am deutlichsten werden die Möglichkeiten von „Lichtblick“, wenn man erstmals den Graphic Organizer, also die interaktive Arbeitsoberfläche unter die Lupe nimmt. Die Sensitivität des Graphic Organizers ist diejenige, die benötigt wird, um ohne lästige Verzögerungseffekte punktgenau auf der Arbeitsfläche mit Freihandtools oder festen Formaten zu arbeiten, auch oder gerade mit Tablets. Hier werden „Arbeitsblätter“ kreiert oder Aufgaben erledigt, alles vorwärts und rückwärts veränderbar. Bis vor kurzem war es nicht selbstverständlich, dass auf einer Weboberfläche so gestalterisch verfahren werden konnte.

 

Gibt es einen Wermutstropfen? Man muss Lichtblick erwerben, doch das ist immer so bei professionellen Produkten. Und darüber hinaus? Die digitale Welt beflügelt die Phantasie. Halten wir eine Neuentwicklung in Händen, fällt uns sofort ein, was wir noch zusätzlich an Funktionen brauchen könnten. Als Lehrkraft denkt man da bescheidener, die Institution, in der man arbeitet, steht (still). Alles was neu ist, kommt gefühlt in Warpgeschwindigkeit. Der Vorteil daran ist, dass man dann das Neue zunächst einmal ausreizt. Und angesichts der Möglichkeiten des Tools krempelt es den Unterricht um. Und doch, ich kann es nicht lassen: Wenn ich ins Klassenzimmer gehe, nehme ich trotzdem mal einen Zettel mit, falls meine Phantasie mit mir durchgeht.

 

 Ein Beitrag von Rainer Lupschina


Literatur (kleine Auswahl):

Ammerer, Heinrich: Filmanalyse. Schwalbach 2016.

Bühl-Gramer, Charlotte: Medienbildung in geschichtsdidaktischer Perspektive. In: Manfred L. Pirner u.a.: (Hrsg.): Medienbildung in schulischen Kontexten. München 2013. S. 197-214.

Kühberger, Christoph (Hrsg.): Geschichte denken. Zum Umgang mit Geschichte und Vergangenheit von Schüler/innen der Sekundarstufe I am Beispiel „Spielfilm“. Innsbruck 2013.

Näpel, Oliver: Geschichte im Film und in den neuen Medien. Bamberg 2018.

 

Fußnoten:

[1] Charlotte Bühl-Gramer: Medienbildung in geschichtsdidaktischer Perspektive. In: Manfred L. Pirner u.a.: (Hrsg.): Medienbildung in schulischen Kontexten. München 2013. S. 207.

[2] dazu auch aus empirischer Perspektive Christoph Kühberger (Hrsg.): Geschichte denken. Innsbruck 2013.

[3] Heinrich Ammerer: Filmanalyse. Schwalbach 2016, S. 4

[4] Charlotte Bühl-Gramer 2013, S. 200.

 

Bilder:

Mit freundlicher Genehmigung von AMMMa.

Website: https://ammma.de/home/ 


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