Vasen, Würger, Waffenläufer – die Sammlung „Antike Kunst“ im Museum der Universität Tübingen


Nachdem man das Portal des Schlosses Hohentübingen durchschritten hat und sich nach links wendet, fällt einem direkt die Statue eines großen beinlosen Pferdes ins Auge. Es handelt sich hierbei um eine vergrößerte Nachbildung eines der bekanntesten Schätze im Museum der Universität Tübingen: Das aus Mammut-Elfenbein gefertigte Pferd aus der Eiszeit ist über 40 000 Jahre alt und eines der ältesten gefundenen Kunstwerke der Menschheit. Aber auch neben dem Pferd gibt es im Museum eine Menge zu bestaunen, wie zum Beispiel die Sammlung „Antike Kunst“.


Bild: © MUT | M. Grohe.
Bild: © MUT | M. Grohe.

Ein reiches Angebot

Wie viele andere deutsche Hochschulen verfügt auch die Eberhard Karls Universität Tübingen über eine Universitätssammlung. Solche Sammlungen entstehen, um Lehre und Forschung möglich zu machen und zu unterstützen. Der große Objektbestand der Universität Tübingen wurde in verschiedene Sammlungen eingeteilt, die bei weitem nicht alle im Schloss untergebracht sind. Davon stehen insgesamt 25 Sammlungen für Besucher*innen offen, 22 können auf Anfrage besichtigt werden, und 15 sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

 

Das Museum Alte Kulturen wurde im Schloss Hohentübingen im Jahr 1997 nach dessen Restaurierung eröffnet. Hier werden rund 4600 Exponate der archäologischen und kulturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität Tübingen ausgestellt. Diese Ausstellungen sind Teil des Museums der Universität Tübingen, welches als Dachinstitution von etwa 70 Fachsammlungen seit 2006 die Aufgabe hat, die Universitätssammlungen zu organisieren, systematisch aufzuarbeiten und auszustellen. Damit sollen sie sowohl für die Forschung als auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

 

 

Die Ausstellung zur „Antiken Kunst“

Als Studierende der Geschichtswissenschaften war ich bei meinem Besuch der Ausstellung besonders interessiert daran, was ich für mein Studium der Antike aus der Ausstellung mitnehmen kann. Der Eintritt ist für Tübinger Studierende kostenlos, einer Erkundung steht also nichts mehr im Wege.

Bild: © MUT | V. Marquardt.
Bild: © MUT | V. Marquardt.

Bei der Ausstellung zur Sammlung „Antike Kunst“ handelt es sich um Exponate aus dem Mittelmeerraum, hauptsächlich aus der Zeit von 3000 v. Chr. bis 500 n. Chr. Insgesamt beinhaltet das Sammlungskonvolut, dessen Anfänge bis ins Jahr 1798 zurückreichen, rund 10.000 Exemplare, ausgestellt ist aber nur ein Bruchteil davon. Die Ausstellungsstücke stammen zum Großteil aus bürgerlichen Sammlungen und institutseigenen Grabungen. Die Ausstellung beginnt im Obergeschoss und erstreckt sich auf zwei Räume. Durch einen Treppenlift und eine Rampe ist sie auch für Besucher*innen begehbar, die keine Treppen laufen können. Auf aufwendige Präsentationsstile wurde verzichtet, die meisten Exponate befinden sich gut beleuchtet in Glaskästen unterschiedlicher Größe und sind klassisch nummeriert und durch kleine Infotafeln beschriftet. Dazu gibt es ergänzende Texte auf größeren Infotafeln, die Hintergrundwissen zu den jeweiligen Epochen und Kulturen vermitteln und es durch Landkarten einfacher machen, die Fundorte der Exponate zu verorten.

 

Zudem gibt es zu Beginn der Ausstellung Informationen über die Geschichte der Archäologie: Bereits der griechische Historiker Thukydides sprach im 5. Jahrhundert v. Chr. von der „Archaiologia“ als die Kunde vom Anfänglichen. Im heutigen Sinne wurde der Begriff zuerst 1685 von Jacques Spon verwendet. Als Wissenschaft begründet wurde die Klassische Archäologie durch Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), welcher als vorzüglicher Kenner von antiken Schriftquellen und Denkmälern galt. Er ließ kunstästhetische und kunstkritische Gedanken in die Archäologie einfließen und stellte stilistische Kriterien für die zeitliche Einordnung antiker Kunst auf. Laut einer Infotafel des Museums gab es in den 1730er und 40er-Jahren „die wohl frühesten Grabungen, die man im Unterschied zur bislang betriebenen Schatzgräberei als wissenschaftlich bezeichnen kann“. In den Ausgrabungen, die in den darauffolgenden Jahrzehnten beispielsweise in Griechenland stattfanden, kamen eine Reihe neuer Funde und Erkenntnisse ans Tageslicht. Eine wichtige Rolle in der Geschichte dieser Ausgrabungen spielte Heinrich Schliemann, der als Archäologe enormen Erfolg hatte und dessen Funde die Disziplin maßgeblich prägten. Sein Schaffen muss heute aber auch kritisch beleuchtet werden: So tragen seine teils rücksichtslosen Forschungsmethoden in großangelegten Grabungsprojekten zur kontroversen Rezeption seines Schaffens bei.[1] Auch hatte er den vermeintlichen „Schatz des Priamos“, des letzten trojanischen Königs, durch den er international berühmt wurde, falsch datiert. Heute weiß man, dass dieser Fund 1000 Jahre älter ist, als von Schliemann angenommen.[2]

 

Neben den Objekten zu Troja werden auch Ausstellungsstücke der Villanova-Kultur (aus dem Bereich der heutigen Toskana), der Etrusker (nördliches Mittelitalien) und Großgriechenlands (Gebiete in Süditalien und Sizilien) gezeigt. Es handelt sich größtenteils um Gefäße verschiedener Größen und Stilrichtungen, wie Vasen und Öllampen, die mit Malereien verziert sind, und sogar Teile eines etruskischen Tempels. In den Vitrinen in der Mitte des ersten Raumes lassen sich antike Spiegelseiten finden. Da die dargestellten Abbildungen auf den originalen Spiegelseiten oft aufgrund ihres Alters nicht gut zu erkennen sind, liegt jeweils daneben eine Zeichnung, auf denen die ursprünglichen Linien skizziert wurden. Dadurch lässt sich deutlich leichter erkennen, was auf den Spiegelseiten dargestellt ist.

 

 

Bild: © MUT | V. Marquardt.
Bild: © MUT | V. Marquardt.

Elektronische Ergänzungen

Wer nicht so viel lesen möchte, kann sich auch zu Beginn seines Rundgangs an der Kasse den kostenlosen Audioguide ausleihen. In der Ausstellung verteilt lassen sich runde Plaketten mit aufgedruckten Zahlen finden, welche einmal in den Guide eingegeben eine Audiodatei abspielen. Dabei gibt es sowohl allgemeine Informationen zu den verschiedenen Kulturen als auch Detailwissen zu ausgewählten Exponaten. Es finden sich auch besondere Angebote für jüngere Zuhöher*innen . Ein kurzes Reinhören in ein paar dieser Audiotracks für Kinder wirft allerdings die Frage auf, für welche Altersgruppe der Guide ausgelegt ist, da die Wortwahl und Ausdruckweise zum Teil recht gehoben ist.

 

Zudem bietet die Homepage des Museums mit dem sogenannten „eMuseum“ die Möglichkeit, ausgewählte Stücke der Museums-Sammlungen auf hochauflösenden Bildern von den eigenen Endgeräten aus zu betrachten. Einen Schritt weiter geht dabei noch das digitale „3D-Museum“, in welchem man einige Objekte als 3D-Modellierung von allen Seiten anschauen kann. Diese Modelle lassen sich kostenfrei herunterladen und per 3D-Drucker drucken.

 

 

Schmuckstücke des Museums

Im zweiten Raum sind neben weiteren Gefäßen auch zwei der „Highlights“ – wie sie vom Museum selbst bezeichnet werden ‒ der Sammlung ausgestellt: Der Tübinger Waffenläufer, die Bronzestatuette eines olympischen Läufers in Startposition, und der Puttenkopf des sogenannten Ganswürgers, der ursprünglich zu einer Ganzkörperstatue eines Jungen gehörte, der eine Gans in seinen Armen würgt. Es ist eine römische Kopie nach hellenistischem Original und stammt aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Der Waffenläufer ist die Bronze-Statuette eines griechischen Athleten, welche ca. 485 v. Chr. in Attica geschaffen wurde.

Vasen der griechischen Antike mit dem Tübinger Waffenläufer im Vordergrund, Bild: © MUT | V. Marquardt.
Vasen der griechischen Antike mit dem Tübinger Waffenläufer im Vordergrund, Bild: © MUT | V. Marquardt.

Wie der Waffenläufer nach Tübingen kam, lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren. Der Regierungsrat Carl Siegmund Tux (1715-1798) bekam den Läufer von seinem Vater vererbt. Als Tux selbst verstarb, vermachte er seine Sammlung in Ermangelung eines Erben an die Universität Tübingen. Fast dreißig Jahre später wurde der Münchner Hofrat Friedrich Thiersch auf den Läufer aufmerksam, da der Läufer Thiersch an Giebelfiguren erinnerte, die in dem Jahr nach München gelangt waren. Von da an stand die Frage im Raum, um was es sich handelte. Die Körperhaltung des Mannes – die Füße dicht beieinander mit leicht gebeugten Knien und den rechten Arm nach vorne gestreckt – ließen den Archäologen Friedrich Hauser darauf schließen, dass es sich vermutlich um einen Waffenläufer in Startposition handelt – dies ist eine von mehreren existenten Deutungen. Der Waffenlauf war Teil der Olympischen Spiele und fand zum ersten Mal anlässlich der 65. Spiele im Jahr 520 v. Chr. statt. Ziel war es, laufend als Erster eine Runde im Stadion zu beenden. Die Teilnehmer trugen Helme und Beinschienen, aber keinen Brustharnisch. Das Schild, welches auch zur Ausrüstung gehörte, fehlt dem Tübinger Waffenläufer. Allerdings lässt das Loch in seiner linken Hand vermuten, dass sich dort ursprünglich eines befunden hat. Auch wenn sie auf der Website des Museums als etwas Besonderes dargestellt werden, werden diese „Highlights“ nicht speziell inszeniert. Gerade der Ganswürger sticht neben anderen Büsten, die auch in dem Raum ausgestellt sind, nicht hervor. Wäre nicht erwähnt worden, dass es sich hier um zwei der „Highlights“ der Ausstellung handeln soll, hätte ich dies so nicht wahrgenommen.

 

 

Einen Besuch wert?

Ich als Studentin der Geisteswissenschaften hätte mir die Darstellung von aktuelleren Diskursen für neue Erkenntnisse gewünscht. Gerade so etwas regt meiner Meinung nach dazu an, sich über die bloße „Wissensaufnahme“ hinaus auch selbst mit Thematiken zu beschäftigen und sich eine Meinung zu bilden – eine Fähigkeit, die durch das Studium schließlich ausgebildet werden soll.

 

Dennoch: Die Ausstellung bietet weniger einen allgemeinen Überblick als vielmehr Einblicke zu Spezialthemen, wie beispielsweise Sport oder Religion in der Antike. Gemeinsam mit den anderen Sammlungen bietet das Museum allerdings eine in Baden-Württemberg einzigartige Möglichkeit, 40.000 Jahren Kulturgeschichte der Menschheit anhand von Objekten näher zu kommen.

 

Ein Beitrag von Alina-Fabienne Suchan 


Daten im Überblick

 

Name: Antike Kunst im Museum Alte Kulturen der Universität Tübingen (Dauerausstellung, Originalsammlung der Klassischen Archäologie)

Öffnungszeiten: Mi bis So: 10 bis 17 Uhr, Do: 10 bis 19 Uhr

Eintritt: Erwachsene 5€, Ermäßigt 3€, Familienkarte 12€. Für Tübinger Studierende ist der Eintritt kostenlos.

 

Adresse: Schloss Hohentübingen, Burgsteige 11, 72070 Tübingen

Anfahrt: Mit dem Bus z.B. Neckarbrücke oder Nonnenhaus aussteigen und dann zu Fuß durch die Altstadt zum Schloss laufen. Mit dem Auto kann man bis vor das Schlosstor fahren

 

Homepage: https://www.unimuseum.uni-tuebingen.de/de/museum-im-schloss/museum-alte-kulturen.html (externer Link, letzter Zugriff am 30.11.2019). 


Zum Verfassen dieser Rezension wurden verwendet...

-          Die Homepage des Museums

-          Flyer „Sammlungen“ des Museums

-          Emanuel, J. P. (2012). Race in Armor, Race with Shields: The Origin and Devolution of the Hoplitodromos. In: University of Pennsylvania Center for Ancient Studies Conference "Crowned Victor: Competition and Games in the Ancient World". Philadelphia, PA. [https://scholar.harvard.edu/emanuel/greek-athletics-military-shields-hoplitodromos_upenn-cas-2012, letzter Aufruf: 01.05.2019]

-          Wissenschaftsrat (2011). Empfehlungen zu wissenschaftlichen Sammlungen als Forschungsinfrastrukturen. Berlin. [https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10464-11.pdf, letzter Aufruf: 01.06.2019]

-          Zimmer, K. B. (2016). Schatz des Monats Januar: Der Waffenläufer ist ein altbekanntes Tübinger Highlight. Schwäbisches Tagblatt. [https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Schatz-des-Monats-Januar-Der-Waffenlaeufer-ist-ein-altbekanntes-Tuebinger-Highlight-271841.html, letzter Aufruf: 01.06.2019].

 

 

Fußnoten (externe Links, letzter Zugriff am 01.06.2019): 

[1] https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2010-12/schliemann-archaeologie/seite-2#info-schliemann-5-tab

[2] https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-schliemann-grabung-troja-100.html


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