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Von Geld, das auf Bäumen wächst, bis zur bittersüßen Versuchung: Die Geschichte der Schokolade (Teil 2)

Rezept nach Antonio Colmenero de Ledesma. [2] Bild: Lisa Blum.*
Rezept nach Antonio Colmenero de Ledesma. [2] Bild: Lisa Blum.*

Die ersten Europäer*innen kamen erst im späten 16. Jahrhundert auf den Geschmack der Schokolade. Diejenigen, die sich in den Amerikas aufhielten, wurden von der einheimischen Bevölkerung mit dem Getränk bekannt gemacht und versüßten es sich schließlich durch die Zugabe von Zucker, Honig oder Vanille. Zu dieser Zeit begann auch der regelmäßige Kakaohandel über den Atlantik. Zunächst kam nur die spanische Oberschicht in den Genuss der für sie exotischen Ware. Von dort aus verbreitete sich der Kakao jedoch in Windeseile über die verschiedenen Adelshäuser in ganz Westeuropa.[1] Ein Rezept von Antonio Colmenero de Ledesma vermittelt eine Vorstellung davon, wie europäische Nobilität die Schokolade zu sich nahm. Sein Bericht aus dem Jahr 1644 wurde in mehrere Sprachen übersetzt und in ganz Westeuropa gelesen. Zuerst wurde die getrocknete Kakaomasse in eine beliebige Form gepresst und dann in einem speziellen Krug mit heißem Wasser übergossen. In dem Gefäß wurde die Flüssigkeit dann schaumig geschlagen.

 

Vom höfischen Konsum gelangte die Schokolade schnell in die großen Städte Europas. Um 1650 frequentierte die Pariser und Londoner Elite regelmäßig Schokoladenhäuser. Langsam veränderte sich die Rolle des Getränks allerdings, und es entwickelte sich allmählich von einer extravagantem kulinarischen Spielerei der Reichen zum allgemeinen Genussmittel. Trotzdem blieb der Konsum noch eine kostspielige Freude.

Die Prüfung von Kakaoqualität in Südamerika (Karibik). Bild: Internet Archive Book Images.**
Die Prüfung von Kakaoqualität in Südamerika (Karibik). Bild: Internet Archive Book Images.**

Der Kakao, der von Häfen in Spanien und den Niederlanden aus – hier oft als Schmuggelware – nach Europa verkauft wurde, stammte vorwiegend aus den Küstenregionen Venezuelas und dem Guayaquil-Becken in Ecuador.[3] Die mittelamerikanische Produktion war der Nachfrage schon vor der Erweiterung um den europäischen Markt nicht mehr gewachsen gewesen. Viele Plantagen waren hier durch einseitige Bepflanzung und Rodung der wichtigen schattenspendenden Bäume zerstört, und konnten nicht mehr angemessen bewirtschaftet werden. In der Folge wurde die Kakaoproduktion auf Gebiete im heutigen Ecuador und Venezuela ausgeweitet. Um 1670 waren die ursprünglichen Bewohner*innen dieser Gebiete jedoch beinahe verschwunden, gestorben an Seuchen oder der Gewalt der Kolonisierenden. Auf den venezolanischen Plantagen arbeiteten unter der Aufsicht der europäischstämmigen Elite deshalb nun afrikanische Sklaven*innen, oft unter unmenschlichen Bedingungen.[4] Auch der Marañón-Kakao, der Mitte des 18. Jahrhunderts Kakao viele der europäischen Märkte dominierte, wurde im Amazonasgebiet von verschleppten Sklaven*innen angebaut.

 

Ab dem 18. Jahrhundert war Schokolade als Getränk in ganz Europa bekannt, mit regionalen Variationen und kulturellen Ausprägungen rund um den Kakaokonsum. Die Menschen begannen, Schokolade auch in fester Form zu genießen, in Frankreich zum Beispiel in Pastillenform. Kakaobutter wurde als kosmetisches Mittel angepriesen oder fand Verwendung in der gehobenen Küche. Jedoch hatte sich der Anbau, die Ernte und Verarbeitung sowie der Verkauf der braunen Bohne seit der vorkolonialen Zeit in Amerika nicht essentiell verändert. Auch wurden weitere Getränke wie Kaffee oder Tee in England weitaus beliebter, und überholten den Schokoladenkonsum in Europa. Im 19. und 20. Jahrhundert fanden jedoch wegweisende Transformationen in der Welt des Kakaos statt. [5]

 

Der Niederländer Coenraad Johannes van Houten erfand 1828 eine hydraulische Presse, die die Kakaobutter viel effizienter von der Bohne lösen konnte. Endprodukt war das Kakaopulver, das in den folgenden Jahren seinen Einzug in die europäische Schokoladenkultur hielt und diese revolutionierte[6]. Kinder tranken heiße Milch, angerührt mit stark gesüßtem Kakaopulver. In Großbritannien produzierten Firmen wie die J.S. Fry & Sons Company oder Cadburys die ersten kommerziellen Schokoriegel. Pralinen wurden an Frauen, zu Weihnachten oder Ostern verschenkt.[7] In den 1820ern eröffneten François Louis Cailler und Phillipe Suchard die erste Schokoladenfabriken des Landes. Der Chemiker Henri Nestlé, Erfinder des Milchpulvers, und der Unternehmer und Chocolatier Daniel Peter begannen mit der Produktion von Schokoladen-Milchriegeln. Rodolphe Lindt entwickelte 1879 ein Verfahren, in dem der Kakao geschmeidiger und die Masse homogener werden sollten: ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Schokolade.[8] All diese Männer kamen aus der Schweiz ­– sie trugen dazu bei, dass sich die Schweizer Schokolade als Weltstandard etablierte. In Amerika sah Milton Hershey (1857-1945) Potential in der Massenproduktion des Kakaos. Zusammen mit seinen Mitarbeiter*innen errichtete der „Henry Ford der Schokoladenhersteller“[9]  einen Imperium. Seine riesige Schokoladenfabrik in Pennsylvania wurde von ebenso riesigen Farmen, Zucker- und Kakaoplantagen beliefert – um später jedes Supermarktregal mit ihren Tafeln und Riegeln zu füllen. Hersheys Unternehmen bleibt Urvater der großen heutigen Schokoladenfirmen – aber auch Konkurrent: „Hershey’s“ ist noch stets einer der Hauptproduzenten von Schokolade in Nordamerika.

 

Die Anbauregionen des Kakaos verlagerten sich um 1900 von Südamerika an die afrikanische Westküste. Die Portugiesen hatten die Bohne in São Tome und Principe eingeführt, doch zunächst dominierte auf den Inseln der Kaffeeanbau durch Sklaven*innen. Die Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1875 stürzte den Kaffee in die Krise, und eröffnete Möglichkeiten für den Anbau von Kakao. Um 1905 waren die beiden Inseln die weltweit größten Exporteure der Bohnen. Die Arbeitsbedingungen dort ähnelten allerdings denen zu Zeiten des Kaffee.[10] Im Laufe des 20. Jahrhunderts steigerte sich die Kakaoproduktion in weiteren afrikanischen Ländern und Kolonien, und Afrika überholte Amerika im Exportvolumen.

 

Auch heute stammt das Gros an Rohkakao für die deutsche Schokoladen- und Kakaoindustrie aus Afrika, davon ca. 60% von der Elfenbeinküste und ca. 20% aus Nigeria.[11] An der Côte d’Ivoire finden sich illegale Kakaoplantagen, für die große Teile des Regenwaldes abgeholzt werden. Auf den Plantagen arbeiten unter anderem Sklaven und Kinder unter schwersten Bedingungen.[12] Die süße Versuchung der Schokolade hat bis heute ihren bitteren Nachgeschmack behalten.

 

 

Ein Beitrag von Lisa Blum


Weiteführende Literatur:

„Kakao – ein schmutziges Geschäft“ – Dokumentation von 3Sat am vom 07.10.2020, unter: https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/kakao-ein-schmutziges-geschaeft-102.html (externer Link, letzter Aufruf am 20.11.2020).

Coe, Sophie/Coe, Michael: Die wahre Geschichte der Schokolade, Frankfurt a.M. 1997.

MacLeod, Murdo: Cocoa, In: Kiple, Kenneth/ Coneè Ornelas, Kriemhild (eds.): The Cambridge World History of Food, Cambridge 2000.

Shapiro, Howard-Yana/ Grivetti, Louis (Hrsg.): Chocolate. History, Culture and Heritage, Hoboken 2009.

 

Fußnoten: 

[1] Vgl. MacLeod 2000, S. 638.

[2] Coe/Coe 1997, S. 160f.

[3] vgl. MacLeod 2000, S. 637.

[4] vgl. MacLeod 2000, S. 637.

[5] vgl. MacLeod 2000, S. 638 f.

[6] vgl. Coe/Coe 1997, S. 287.

[7] vgl. MacLeod 2000, S. 639.

[8] vgl. Coe/Coe 1997, S. 299.

[9] Coe/Coe 1997, S. 301.

[10] vgl. MacLeod 2000, S. 640.

[11] Infografik des BDSI über Rohkakaolieferländer Deutschlands über die Netto-Importe 2019, unter: https://www.bdsi.de/fileadmin/redaktion/Grafik___Statistik/201112_BDSI_Infografik_Rohkakaolieferländer2019_RZ_quer.jpg (externer Link, letzter Aufruf  am 20.11.2020).

[12] Dokumentation „Kakao – ein schmutziges Geschäft“  auf 3Sat vom 07.10.2020, unter: https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/kakao-ein-schmutziges-geschaeft-102.html, (externer Link, letzter Aufruf  am 20.11.2020).

 

Bilder (mit externen Links, letzter Zugriff am 16.11.2020): 

*Oberes Bild:

Screenshot aus Microsoft Word von Lisa Blum. 

 

**Unteres Bild: 

Internet Archive Book Images, No restrictions, via Wikimedia Commons

Page-URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cocoa_and_chocolate__their_history_from_plantation_to_consumer_(1920)_(20668564671).jpg

File-URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/Cocoa_and_chocolate__their_history_from_plantation_to_consumer_%281920%29_%2820668564671%29.jpg

 


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