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Ethnologin, Kunsthistorikerin und Kuratorin: Ein Interview mit Dr. Fiona Siegenthaler


Dr. Fiona Siegenthaler hat in der Schweiz Kunstgeschichte, neuere Literaturwissenschaften und Ethnologie studiert und ist nun Kuratorin der Afrika-Abteilung im Linden-Museum Stuttgart, welches sich als ein ethnologisches Museum versteht. Bei ihrer Arbeit wird sie mit schwierigen historischen Kontexten konfrontiert und ist unter anderem an der Restitution der Benin-Bronzen beteiligt. Im Interview spricht sie über ihren akademischen Werdegang und ihren Alltag als Kuratorin mit all den Herausforderungen und Chancen, die diese Arbeit mit sich bringt. 


Bild: Privatbestand Fiona Siegenthaler.
Bild: Privatbestand Fiona Siegenthaler.

Was haben Sie studiert und worauf haben Sie sich dabei spezialisiert?

Ich habe im Hauptfach Kunstgeschichte studiert und neuere Literaturwissenschaft sowie Ethnologie in den Nebenfächern. Das war eigentlich mein Lizentiatsabschluss, also das, was man heute Master nennen würde. Für die Dissertation habe ich mich entschieden, mich auf Ethnologie festzulegen mit einem Schwerpunkt in der zeitgenössischen Kunst, insbesondere in den Städten Afrikas […].

 

Wie kam es zu Ihrem inhaltlichen Schwerpunkt?

Mich hat einfach immer schon interessiert, was es für andere Kunstverständnisse gibt. Wie sieht Kunst an anderen Orten aus, wie oder was ist Ästhetik in anderen Kulturen? Deshalb habe ich auch schon von Anfang an Ethnologie nebenbei studiert und irgendwann hat sich das etwas stärker Richtung Afrika gewendet […]. In der Studienzeit habe ich mich dann auch vermehrt für Südafrika zu interessieren begonnen. Die Gegenwartskunst Südafrikas war in den späten 90er-Jahren international sehr viel sichtbarer in den Museen, Kunsthallen und Galerien als Kunst aus anderen Ländern Afrikas. Ich habe den Schwerpunkt dann aber mehr auf Künstler*innen vor Ort gelegt und weniger auf die Künstler*innen, die international gezeigt werden.

 

Welchen Beruf üben Sie gerade aus?

Ich bezeichne mich immer als Kunsthistorikerin und Ethnologin. Als Tätigkeit in dem Sinne bin ich Kuratorin in der Afrika-Abteilung des Linden-Museums. Insofern kann man sagen, mein Beruf ist Kuratorin, aber ich verstehe mich auch als universitäre Wissenschaftlerin und als Kunstkritikerin.

 

Wie hat Ihnen Ihr Studium geholfen, um in diese Tätigkeit zu finden?

Es hat mich in die wissenschaftliche Annäherung an Kunst und Kultur eingeführt. Ich habe auch die vertiefte Beschäftigung mit Theorie sehr gemocht - Kunsttheorie im weitesten Sinne, aber auch post- und dekoloniale Theorie. Das ist zwar in der Alltagspraxis des Museums nicht das, was man als erstes macht, aber eine sehr wichtige Grundlage und Referenz, um sich immer klar zu sein „Was mache ich eigentlich?“. Gerade wenn man eine Ausstellung kuratiert, ist es wichtig, dass man sich bewusst ist, mit welchen Fragestellungen und mit welchen Konzepten man arbeitet […]. Das habe ich vom Studium sicher mitgenommen, auch die Interdisziplinarität, das Interesse an Sprache und die Selbstdisziplin, Projekte zu beginnen und zu beenden. Aber vom Studium alleine habe ich nicht alles gelernt. Sehr vieles habe ich mir durch Jobs neben dem Studium angeeignet, gerade was Interaktion und Kommunikation angeht, oder das Verständnis dafür, wie ein Museum funktioniert. Das ist etwas, was man nicht im Studium lernt, sondern wirklich durch die Praxis.

 

Wie sieht Ihr aktueller Arbeitsalltag aus?

Das ist sehr viel, deshalb auch sehr schwer zu beantworten. Wie bei vielen solchen Stellen im Moment fängt der Tag meistens so an, dass ich die neusten Mails anschaue und möglichst schnell beantworte. Dann gehört dazu, immer mal wieder durch die Dauerausstellung zu gehen, die Sammlung zu pflegen, zu erforschen und zu erweitern und zugleich über künftige Projekte nachzudenken […]. Der Alltag als Kuratorin besteht auch darin, Anfragen zu beantworten über Objekte, die Menschen gefunden haben, die sie auch verschenken oder verkaufen wollen. Außerdem gehört es dazu, sich informiert zu halten, was in anderen Museen läuft […]. Im Moment beschäftige ich mich aber vor allem mit den vielen Anfragen, auch bezüglich der Objekte in unseren Sammlungen. Wir versuchen so oft wie möglich den direkten Zugang zu den Objekten zu garantieren, gerade bei Herkunftsgesellschaften. Dazu gehören auch Restitutionsanfragen. Transparenz ist uns sehr wichtig. Aber es gehört auch viel anderes dazu: Sitzungen mit meinen Kolleg*innen für gemeinschaftliche Ausstellungsvorhaben, Sitzungen, die die Institutionsorganisation betreffen, sowie wichtige Themen, die alle betreffen, zu besprechen. Auch immer wieder mit Kolleg*innen andere Fragen besprechen, die vielleicht mit der Kommunikation oder anderen Sachen zu tun haben, da fällt sehr vieles an. Das ist aber nur ein grober Einblick in meine Tätigkeiten als Kuratorin.

 

Welche Skills braucht man bei dieser Arbeit am häufigsten?

Fachlich, denke ich, braucht man ein Gespür für die Objekte, mit denen man arbeitet und ein Verständnis für deren Materialität. Natürlich auch für deren kulturelle Bedeutung, das kann man aber für den ganzen Kontinent nie ganz selbst beherrschen. Es heißt auch, sich genug Zeit nehmen, um zu recherchieren, zu forschen. Zugleich eignet man sich viel Wissen auch im Austausch mit anderen Menschen an, und man kann auch bestehendes Wissen vermitteln. Deshalb, denke ich, ist Kommunikation ein extrem wichtiger Teil meiner Arbeit. Gute Organisationsfähigkeit muss man sicher haben, Selbstmanagement ist wichtig […].

 

Was sind Ihre persönlichen Highlights bei der Arbeit?

Ich bin ein Mensch, der sehr gut für sich selbst arbeiten kann, der aber auch wahnsinnig gerne im Team arbeitet und ich denke, das ist etwas, was meine Arbeit wirklich sehr ermöglicht. Gerade jetzt, wo viele Menschen auf uns zukommen und einerseits Objekte geben wollen oder an Objekten aus der Sammlung interessiert sind. Auch immer wieder das Überraschende, wenn man über Sachen stolpert, von denen man nichts wusste und ganz neue, spannende Aspekte der afrikanischen Kunstgeschichte und Ethnologie kennenlernt.

 

Was war Ihr bisher spannendstes Projekt?

Ich hatte sehr viele sehr spannende Projekte auch gleich in diesem Jahr, in dem ich angefangen habe […]. Eines dieser Projekte ist die Summer School in ihren verschiedenen Teilen [Anm. Heriett Müller: Die Summer School „With Namibia: Engaging the Past, Sharing the Future“ ist ein Projekt des Linden-Museums Stuttgart, der Universität Tübingen, der University of Namibia und der Museums Association of Namibia, um die gemeinsame koloniale Geschichte Deutschlands und Namibias aufzuarbeiten]. Das ist etwas, was von einem Museum aus in der Form sehr selten bis gar nicht umgesetzt wird. Es ist super spannend, mit jungen Leuten neue Fragestellungen anzugehen, deren Antworten zu hören und ihren Zugang zu aktuellen Themen und zu musealen Sammlungen zu sehen. Es gibt aber auch andere sehr spannende Projekte, die Betreuung der Restitution der Benin-Bronzen beispielsweise war ein solches. Der Prozess hat lange vorher angefangen, aber dieses Jahr war ein sehr wichtiges Jahr. Andere spannende Projekte sind tatsächlich die Begegnungen mit Menschen aus Herkunftsgesellschaften, die historische Objekte aus ihrer Gesellschaft sehen wollen. Welche Rolle individuelle und kollektive Erinnerung dabei spielen […]. Man kommt zusammen, sieht sich beispielsweise Objekte aus der Kolonialzeit an, hört sehr spannende Erzählungen, zum Teil auch sehr traurige. Das sind Begegnungen, die man sonst nicht unbedingt hätte.

 

Was war für Sie die bisher größte Herausforderung in diesem Beruf?

Ich glaube, das Zeitmanagement. Eine wichtige Aufgabe von Kurator*innen ist die Erweiterung der Sammlung. Zugleich arbeite ich aber immer mehr daran, die Forschung an der Sammlung zu vertiefen und auch Rückgaben vorzubereiten. Das passiert alles gleichzeitig und über längere Projektphasen. Museen haben immer wieder Objekte deakzessioniert, also aus den Sammlungen ausgeschieden, um es dem Handel zur Verfügung zu stellen oder als Geschenk an ein anderes Museum. In meinem Fall sind es aber wirklich Restitutionsprozesse. Das ist etwas, womit alle Museen erst so langsam vertraut werden, die „learning-curve“ steigt extrem: Man lernt neue Verhandlungsformen kennen, eng mit der Provenienzforschung zusammenzuarbeiten, mit mehreren sehr unterschiedlichen Akteuren gleichzeitig im Gespräch zu sein. Man lernt auch in politischer und juristischer Hinsicht viel. Das sind alles neuere Arbeitsbereiche und alles, was neu ist, ist natürlich auch eine kleine Herausforderung, eine sehr spannende, die ich gerne annehme.

 

 Vielen Dank für das Interview!

 

Ein Interview von Heriett Müller


Interview vom 15.10.2022, Windhoek, Namibia.


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