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Ein französischer Militärfriedhof unter dem Parkplatz des Kupferbaus? – Der virtuelle Stadtrundgang zu den Franzosen in Tübingen (Teil 2)



Vive le couple franco-allemand! Vor 60 Jahren wurde mit dem Elysée-Vertrag eine neue Phase deutsch-französischer Geschichte besiegelt. Dass diese Zusammenarbeit auf lokaler Ebene bereits 1945 begann, zeigt der virtuelle Stadtrundgang über die Franzosen in Tübingen und geht dabei auch fast vergessenen Orten nach. Dr. Johannes Großmann hat im Interview bereits einen Blick hinter die Kulissen gegeben und unter anderem über die Kriterien für die Auswahl der Stationen gesprochen. Ein Kriterium war der Wunsch, Orte (wieder) sichtbar zu machen. 


Friedhof und angrenzender Parkplatz. Bild: Maren Brugger.
Friedhof und angrenzender Parkplatz. Bild: Maren Brugger.

Können Sie ein Bespiel für einen Ort, der wieder sichtbar gemacht wird, geben?

Ein Beispiel dafür ist der ehemalige französische Militärfriedhof, der angrenzend an den Stadtfriedhof errichtet wurde. Auf diesem wurden französische Soldaten beerdigt, die beim Einmarsch hier im Südwesten gefallen waren bzw. dann während der Besatzungszeit ums Leben gekommen oder verstorben sind. Dieser Friedhof existierte also über mehrere Jahre hinweg östlich vom Gräberfeld X. Einige der Soldaten, die dort lagen, sind dann in die Heimat überführt worden. Das waren vor allem die Franzosen aus der Metropole, während die gefallenen Kolonialsoldaten – vor allem aus dem Maghreb – in der Regel dort geblieben sind.

Offensichtlich war es noch bis in die 1950er Jahre hinein so, dass einzelne Gräber davon existierten. Die Stadt hätte dieses Grundstück gerne für sich genutzt, um dort einen Kindergarten zu errichten. Die Franzosen wollten diesen Militärfriedhof bei einer Auflösung auf den Galgenberg überführen, den heutigen Bergfriedhof. Dort wollten sie einen zentralen Friedhof für alle französischen Gräber im Südwesten Deutschlands errichten. Das wollte die Stadt nicht – und daraufhin brach die Korrespondenz ab. Heute befindet sich dort, wo dieser Friedhof war, der Parkplatz des Kupferbaus. Ob sich tatsächlich darunter noch Gräber befinden, die irgendwann planiert und überteert wurden, weiß man nicht. Aber das ist einer der Orte, die wir durch diesen Stadtrundgang versucht haben, wieder sichtbar zu machen und in Erinnerung zu rufen.

 

Anhand welcher Kriterien wurden die Stationen noch ausgewählt?

Ein weiteres Prinzip für die Auswahl der Orte war die Repräsentativität für die Besatzungszeit und der französischen Präsenz in Tübingen allgemein. Insofern war auch eine Frage, welche Themen man mit welchen Orten gut verbinden kann.

 

Der letzte Punkt ist ein praktisch-funktionaler gewesen, denn wir haben insgesamt vier unterschiedliche Routen in unserem Stadtrundgang. Wir mussten also ein wenig drauf achten, ob die Orte realistisch gesehen im Rahmen einer solchen Route abgelaufen werden können. Ich denke, das ist uns einigermaßen gelungen, wenngleich es trotzdem so ist, dass es natürlich sehr stark auf das jeweilige Publikum ankommt. Insofern funktionieren diese Orte auch alle für sich allein, ohne dass man eine ganze Route abläuft. 

Der Parkplatz am Friedhofseingang. Bild: Maren Brugger.
Der Parkplatz am Friedhofseingang. Bild: Maren Brugger.

Sie haben gerade schon über das Publikum gesprochen. An welche Zielgruppe richtet sich denn dieser Stadtrundgang?

Wir haben eigentlich verschiedene Zielgruppen (lacht). Es gibt keine primäre Zielgruppe, aber natürlich haben wir ausgehend vom Seminar daran gedacht, dass es besonders schön wäre, wenn wir jüngere Leute erreichen. Faktisch – wie oft bei solchen Erinnerungsprojekten – ist es so, dass auch die Generation der Zeitzeug*innen sich besonders für diese Thematik interessiert, weil das für sie gelebte Geschichte ist, weil sie damit Erinnerungen verbinden, die auch durch den Stadtrundgang und durch diese Stationen wieder wachgerufen werden können. Tatsächlich war unsere Hoffnung auch, in Frankreich noch Lebende, beispielsweise ehemalige Soldaten oder ihre Angehörige, darüber zu erreichen – gerade über die französische Übersetzung.

 

Denn mir ist es nicht nur einmal passiert, dass ich in Frankreich Leute getroffen habe, die auf die Nachfrage, woher ich denn komme, auf die Antwort „Tübingen“ so reagiert haben: „Ach, da war ich ja stationiert als Soldat!“ Jemand war sogar in Tübingen geboren worden. Es gibt eine ganze Menge an Leuten, die irgendwie Bezug zu dieser Stadt durch die Besatzungszeit haben und für diese wäre es vielleicht ganz interessant, auch auf diese Weise wieder mit Tübingen in Kontakt zu kommen.

 

Was waren für Sie die faszinierendsten Erlebnisse und Erkenntnisse dieses Stadtrundgangs?

Eines der spannendsten Erlebnisse für mich war, wie schnell das Projekt realisiert werden konnte. Das lag einerseits am Institut culturel als Partner, weil sie dort mit völlig anderen Zeithorizonten arbeiten, als wir das in der Wissenschaft gewohnt sind. Aber auch die Bereitschaft der Studierenden aus diesem Seminar – besonders bei der Redaktion der Texte und der Gestaltung der Seite – war essenziell dafür, dass das in so einem kurzen Zeitraum passieren konnte.

 

Außerdem muss man sagen, dass Stadtrundgang natürlich kein Forschungsprojekt im engeren Sinne war. Wir haben erst einmal sehr stark auf Sekundärliteratur aufgebaut, aber dann auch ein bisschen Forschung betrieben. Wir haben Archivmaterial konsultiert, im Stadtarchiv nach gedruckten Quellen gesucht und insofern vielleicht doch ein klein wenig Forschung über die existierende Literatur hinaus betrieben.

 

Noch eine Frage zum Schluss: Was war Ihnen besonders wichtig?

Wichtig war uns, diese Lokalgeschichte Tübingens zusammenzubringen mit den größeren Interpretationen zur Geschichte der französischen Besatzung in Tübingen, was bis dahin nur selten geschehen ist. Ein großes Problem ist, dass Lokalgeschichte oft als rein lokale Angelegenheit betrachtet wird, abgekoppelt und sehr faktenorientiert untersucht und nicht in größere Zusammenhänge eingebettet wird. Hier in Tübingen ist die Möglichkeit, genau das zu machen! Denn Tübingen war in dieser Zeit nicht nur ein Ort unter vielen, sondern war als Sitz der Besatzungsverwaltung von Südwürttemberg-Hohenzollern und eben auch als Landeshauptstadt von Südwürttemberg-Hohenzollern ein ganz zentraler Ort in dieser Besatzungs- und Begegnungsgeschichte.

 

Insofern ist hier der geeignete Ort, genau das zusammenzubringen und auch diese lokale Geschichte einzuordnen in die größeren Fragen nach den Zielen der französischen Besatzung, nach dem Charakter der französischen Besatzung in Südwestdeutschland. Ich hoffe, dass uns das einigermaßen gelungen ist und dass wir es geschafft haben, auch gerade die Graubereiche einigermaßen auszuleuchten – weder die negativen noch die positiven Aspekte auszublenden, sondern sie aus der Zeit heraus zu erklären und zu versuchen, sie in größere Deutungen zur französischen Besatzungsgeschichte in Deutschland einzubetten.

 

Durch solche Projekte kann man Lokalgeschichte nochmal aus einer völlig neuen Perspektive betrachten. Vielen Dank für das Interview!

 

Ein Beitrag von Maren Brugger


Weiterführende Informationen

Der virtuelle Stadtrundgang mit Archivmaterial ist aufrufbar unter: http://franzosen-tuebingen.de/.

Auf der Website kann man sich nicht nur die eingesprochenen Texte als Audiofiles herunterladen, sondern auch einen Flyer (http://franzosen-tuebingen.de/wp-content/uploads/2017/09/FranzosenTuebingen_Flyer.pdf), wenn man eine oder mehrere der vier Routen ablaufen möchte. Die Routen führen durch die Altstadt (1), die Universitätsstadt (2), Österberg und Neckar (3) sowie durch die Südstadt (4). Zudem werden für Interessierte ausführlichere Hintergrundinformationen, Kurzbiographien und weiterführende Literaturhinweise gegeben.

 

Lesen Sie hier Teil 1 dieses Beitrags


Interview vom 16.12.2022, Tübingen.


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