Ein virtueller Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte Dachau


Auch wenn die Authentizität von Gedenkstätten mittlerweile zunehmend relativiert wird, versprechen sie als historische Orte doch einen hohen Lern- und Erkenntnisgewinn. In Corona-Zeiten sind Gedenkstättenfahrten schwieriger geworden. Ein Grund mehr, ihre virtuellen Angebote in den Blick zu nehmen. 


Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau. Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau.
Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau. Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau.

Gedenkstätten-Studienfahrten sind längst ein Bestandteil schulischen Geschichtslernens. Die Debatten um ihre verpflichtende Verankerung in den Lehrplänen zeugt von den hohen und zuweilen auch überhöhten Erwartungen, die sich mit Gedenkstättenbesuchen verbinden. Als Lern- und Erinnerungsorte sollen sie offenbar ein Motivationspotenzial freisetzen, das im Klassenzimmer nicht erreicht werden kann. Gerade die vermeintliche Authentizität des Ortes könne demnach zum Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Geschehen werden. Auch wenn die Suche nach dem Authentischen immer öfter durch ein Bekenntnis zur Inauthentizität relativiert wird, nehmen junge Gedenkstättenbesucher*innen die „Tatsächlichkeit des am historischen Ort Geschehenen“ durchaus als solche wahr, wie der Geschichtsdidaktiker Christian Kuchler in seiner kürzlich erschienenen, höchst anregenden Studie „Lernort Auschwitz“ nachweisen kann. [1]

 

Spätestens nach ihrer Schließung im Kontext der Corona-Pandemie haben viele deutsche Gedenkstätten digitale Angebote entwickelt, die es ermöglichen sollen, den Ort zu erschließen, ohne vor Ort zu sein. Doch ist es möglich, durch virtuelle Rundgänge die „Tatsächlichkeit des am Ort Geschehenen“ einzufangen? Können digitale Gedenkstättenbesuche die Eindrücklichkeit der ohnehin vielfach gebrochenen Vermitteltheit „analoger“ Besuche ersetzen? Und wo liegt dann überhaupt der Mehrwert gegenüber „klassischen“ Medien wie dem Schulbuch?

 

Virtueller Rundgang in 20 Stationen. Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau.
Virtueller Rundgang in 20 Stationen. Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau.

Die KZ-Gedenkstätte Dachau, Exkursionsziel vieler Schulklassen vor allem in Süddeutschland, bietet online neben mehreren thematischen Führungen zwei virtuelle Rundgänge über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers und seine Umgebung. Anders als z.B. die WDR-Produktion „Inside Auschwitz“, die die Nutzer*innen entlang dreier Zeitzeuginnenberichte und mittels 360-Grad-Technik durch das ehemalige Tötungslager führt, werden die Nutzer*innen hier in 20 bzw. sechs Stationen über das Areal des ehemaligen Konzentrationslagers und seiner Umgebung geleitet. Während sich die Stationen 1-14 mit den Überresten des Lagers befassen, widmen sich die anderen sechs Stationen den erinnerungskulturellen Manifestationen, die nach 1945 auf dem Gelände errichtet wurden. Die Stationen, die zu den Überresten des Lagers führen, enthalten jeweils zwei bis drei Fotografien, einen Informationstext und ein Zeitzeugenzitat. Dabei weisen die kontrastiv eingesetzten Fotos, die die Überreste immer aus zwei Zeitperspektiven zeigen, auf deren doppelte Bedeutung: als Relikte der Vergangenheit und in ihrer ursprünglichen Funktion. Mit der expliziten Unterscheidung zwischen dem historischen Geschehen und seiner Rekonstruktion und Erinnerung verliert sich auch der Eindruck von Authentizität. Dass dieser Ort nicht nur ein Ort des Geschehens, sondern auch ein (gestalteter) Ort des Erinnerns ist, führen nochmals die letzten Stationen vor Augen, die sich mit den überwiegend sakralen Gedenkorten befassen.

 

Beide Bilder: KZ-Gedenkstätte Dachau.

 

„Dachau – die Bedeutung dieses Namens ist aus der deutschen Geschichte nicht auszulöschen. Er steht für alle Konzentrationslager, die Nationalsozialisten in ihrem Herrschaftsbereich errichtet haben“ (Eugen Kogon), heißt es auf der Internet-Startseite der Gedenkstätte[2]. In diesem Sinne empfiehlt sich dieser virtuelle Rundgang nicht nur als Vorbereitung auf einen „analogen“ Besuch, sondern vor allem, wenn es um den Aufbau und die Aneignung von Wissen über das Lagersystem Dachaus im Speziellen und das System der NS-Konzentrationslager im Allgemeinen gehen soll. Die Effekte des Authentischen werden hingegen vermieden. Der virtuelle Rundgang über die Gedenkstätte Dachau eignet sich zwar, um die Vorstellungskraft von Lernenden zu fördern; die Erfahrung des „Tatsächlichen“, die die jungen Besucher*innen der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau hervorheben, wird durch dieses eher konventionelle Angebot vermutlich nicht gefördert. Ob das eine Zielperspektive virtueller Gedenkstättenbesuche sein sollte, ist eine andere Frage.

 

Internationales Mahnmal vor dem ehemaligen Wirtschaftsgebäude, 2017. Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau.
Internationales Mahnmal vor dem ehemaligen Wirtschaftsgebäude, 2017. Bild: KZ-Gedenkstätte Dachau.

 

Ein Beitrag von Barbara Hanke


 Weiterführende Literatur und Links

Drecoll, Axel /Schaarschmidt, Thomas /Zündorf, Irmgard (Hrsg.): Authentizität als Kapital historischer Orte? Gedenkstätten, Dokumentationszentren und die Sehnsucht nach dem unmittelbaren Erleben von Geschichte. Göttingen 2019.

Heyl, Matthias : Mit Überwältigendem überwältigen? Emotionen in KZ-Gedenkstätten. In: Juliane Brauer/Martin Lücke (Hrsg.): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven. Göttingen 2013, S. 239-259.

Internetauftritt der Gedenkstätte Dachau: https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de

Rezension Rundgang „Die Befreiung“: https://www.historischer-augenblick.de/dbefreiung/

 

Fußnoten:

[1] Vgl. Kuchler, Christian : Lernort Auschwitz. Geschichte und Rezeption schulischer Gedenkstättenfahrten 1980-2019. Göttingen 2021, hier S. 232.

[2] https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de (zuletzt aufgerufen am 5.7.2021). 


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