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Ein Rassist macht Karriere? Wahrhold Drascher an der Universität Tübingen

Rassistisches Denken reicht in Deutschland weit zurück. Man musste auch im 20. Jahrhundert kein Nationalsozialist sein, um sich als Rassist zu profilieren und Karriere zu machen. Ein Beispiel unter vielen für die historische Kontinuität rassistischen Denkens sind die Schriften des Tübinger Professors für Auslandskunde und Kolonialwissenschaften Wahrhold Drascher (1892-1968). Eine Begebenheit aus Draschers Biografie mutet paradox an: seine Habilitationsschrift „Die Vorherrschaft der weißen Rasse. Die Ausbreitung des abendländischen Lebensbereiches über die überseeischen Erdteile“ wurde vom rassistischen Regime der Nationalsozialisten verboten.[1] Doch warum kam es dazu?  

Bild:  Universitätsarchiv Tübingen S 23/1, 204 Drascher, Wahrhold.*
Bild: Universitätsarchiv Tübingen S 23/1, 204 Drascher, Wahrhold.*

In den 1930er Jahren profitierte Drascher vom Aufschwung der Kolonialwissenschaften unter der nationalsozialistischen Herrschaft. Drascher kletterte in den 1930er Jahren die akademische Karriereleiter – neben seiner Tätigkeit als Hauptreferatsleiter für Übersee- und Kolonialfragen am Auslandsinstitut in Stuttgart – in raschem Tempo empor. Vom ersten Lehrauftrag für „Wirtschaftskunde des Auslands“ an der Universität Tübingen im Jahr 1929, über seine Habilitationsschrift, eingereicht 1935, bis zur außerordentlichen Professur für „Weltpolitische Auslandskunde und Deutschtum in Übersee“ 1939 vergingen gerade einmal zehn Jahre.[2] 

 

Bei der Einordnung von Draschers Studie „Die Vorherrschaft der weißen Rasse“ und seinem Verständnis der Begrifflichkeit „weiße Rasse“ schieden sich jedoch die Geister der Zeitgenossen. Drascher selbst definierte den Rassebegriff in seiner Arbeit, welche eine Gesamtdarstellung des europäischen Kolonialismus anstrebte, wie folgt:

 

Darnach [sic| beruht eine Rasse auf einem Zusammenhang von Blut und Boden, woraus sich für alle ihre Angehörigen gewisse gleiche biologische und charakterliche Merkmale ergeben. Daraus erfolgt, daß die maßgebenden Eigenschaften und Erbanlagen unverlierbar sind.[3]

 

Während amerikanische und britische Rezensenten die Verwendung als Beleg für die Wirkung der nationalsozialistischen Rassentheorie auf die Wissenschaft werteten, bemängelten die Tübinger Gutachter Adalbert Wahl und Carl Uhlig den Terminus als grobe Abweichung von der nationalsozialistischen Rassenideologie.[4] Drascher habe, so etwa Wahl, „die nötige scharfe Grenze zwischen naturwissenschaftlicher und kulturhistorischer Wertung der Rassen nicht immer eingehalten“.[5] Uhlig befand dennoch:

 

Weitaus am eindrucksvollsten und wertvollsten ist aber der aktuelle Teil des Buches: die wahrhaft erschütternde Darstellung der furchtbaren Gefahren, die der weissen [sic] Welt und ihrer Herrschaft drohen. Diese Gefahren beruhen zum Teil auf Fehlern und unglücklichen Entwicklungen, die schon vor dem Weltkrieg liegen. Weitaus der verhängnisvollste Fehler und das unseligste Ereignis war aber natürlich der Weltkrieg mit seinen Begleiterscheinungen: Bewaffnung der Farbigen; Abhängigkeit der Kriegsführung der Entente von ihnen; Verächtlichmachung eines so erheblichen und wertvollen Teiles der weissen [sic] Rasse (der Deutschen)[…].[6]

 

Trotz der letztendlich „guten“ Bewertung wurde dem Buch nach der Veröffentlichung 1936 von der parteiamtlichen Prüfkommission der NSDAP zunächst der „Unbedenklichkeitsvermerk“ verweigert, später wurde es ganz verboten und die Restbestände vernichtet. Draschers akademisches Fortkommen blieb davon unbehelligt. Im Jahr 1939 wurde er von der Universität Tübingen zum außerplanmäßigen Professor für „Weltpolitische Auslandskunde und Kolonialwissenschaften“ ernannt.[7] Für den positiven Ausgang seines späteren Entnazifizierungsverfahren erwies sich die Episode gar als zuträglich.[8]

Bild: Lisa Blum.
Bild: Lisa Blum.

Nach Kriegsende führte Drascher die Einwände von Wahl und Uhlig sowie die unterlassene Zustimmung der parteiamtlichen Prüfkommission zu „Die Vorherrschaft der weißen Rasse“ in seinem Spruchkammerverfahren erfolgreich zu seiner Entlastung an. Die Spruchkammer befand, dass „die darin geäusserten [sic] Thesen in vieler Beziehung [sic] der NS-Rassetheorie widerspräche[n] und dass der Gedanke der Gemeinschaft der abendländische[n] Völker zu stark betont sei“.[9] Die generelle Einteilung von Menschen anhand von rassistischen Kriterien wurde nicht beanstandet. Entscheidend war, dass sich Drascher mit dem Begriff der „weißen Rasse“ von der nationalsozialistischen Ideologie unterschied, weshalb er lediglich als „Mitläufer“ eingestuft wurde.[10] Begebenheiten wie diese machen deutlich, dass es in der bundesdeutschen Öffentlichkeit nach dem Ende des Nationalsozialismus und größtenteils bis heute kein Bewusstsein für die Komplexität und Vielschichtigkeit des Phänomens Rassismus gibt bzw. gab: denn es gibt nicht den Rassismus, sondern vielmehr eine Vielzahl von Rassismen.

 

Drascher konnte Ende der 1940er Jahre an die Universität Tübingen zurückkehren und wurde Anfang der 1950er Jahre erneut als außerplanmäßiger Professor für „Überseekunde“ im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt. Seine Rückkehr wurde allerdings von kritischen Stimmen begleitet. Im Kontext der einsetzenden Dekolonisierung forderte der Leiter der Hochschulabteilung des Kultministerium, Ministerialrat Hans Georg Rupp, den Dekan der Philosophischen Fakultät Friedrich Beißer auf, 

 

doch ernstlich darüber nachzudenken, ob es zweckmäßig sei, für Herrn Drascher einen Lehrauftrag im gegenwärtigen Zeitpunkt zu beantragen, da sein Hauptlehrgebiet (Kolonialpolitik usw.) wohl heute kaum zu den Essentialia eines Vorlesungsbetrieb [sic] gehören dürfte und immerhin Anstoß erregen könnte.[11]

 

Trotz der widrigen Umstände gelang es Drascher aber, sich und seinem Fach einen Platz im universitären Betrieb zu sichern. Lediglich die Bezeichnung seines Faches änderte sich von „Weltpolitische Auslandskunde und Kolonialwissenschaften“ zu „Überseekunde“. Die gedankliche Kontinuität der vermeintlichen Überlegenheit einer „weißen Rasse“ blieb jedoch auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und parallel zur einsetzenden Dekolonisierung erhalten. Dass Drascher letztendlich als außerplanmäßiger Professor emeritiert wurde, wurde von Seiten seiner Kollegen als Abschluss seiner politischen Rehabilitation gewertet.[12] Die einseitige Wahrnehmung rassistischen Denkens als Phänomen des Nationalsozialismus ist allerdings nicht auf Draschers Zeitgenossen begrenzt. Noch in den 1990er Jahren schrieb u.a. ein Historiker der Universität Tübingen nach einer Recherche über Wahrhold Drascher:

 

Das Schicksal von Professor Drascher zeigt, wie leicht ein politisch nicht festgelegter Mann, der eine Hochschulkarriere anstrebte, in den Fallstricken des NS-Systems hängenblieb, […] obwohl ihm konkret nicht das Geringste vorgeworfen werden konnte.[13]

 

Rassismus ist kein neuartiges Phänomen. Seine Aufarbeitung sowie die historische wie gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Thema stecken auch an der Universität Tübingen noch in den Kinderschuhen. 

 

Ein Beitrag von Carina Klara Moser


Fußnoten:

[1] Drascher, Wahrhold: Die Vorherrschaft der weißen Rasse. Die Ausbreitung des abendländischen Lebensbereiches über die überseeischen Erdteile, Stuttgart 1936.

[2] Verchau, Ekkhard: Mein Feld – Die Welt. Wahrhold Drascher zum 70. Geburtstag am 03. März 1962, Mainz 1963.

[3] Drascher: Vorherrschaft, S. XI.

[4] G.W.R.: Rezension zu: Drascher, Wahrhold: Die Vorherrschaft der weißen Rasse. Die Ausbreitung des abendländischen Lebensbereiches auf die überseeischen Erdteile, Stuttgart 1936, in: The Geographical Journal, Vol. 89, 3/1937, S. 287; Busse, A.: German books of 1936, in: The Modern Language Journal, Vol. 21, 8/1937, S. 611; UAT 131/459.

[5] UAT 131/459.

[6] UAT 131/459.

[7] Verchau: Mein Feld, S. 13.

[8] Daniels: Auslandskunde an der Universität Tübingen 1918-1945, in: Urban Wiesing/Klaus-Rainer Brintzinger/Bernd Grün u.a. (Hrsg.): Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Stuttgart 2010, S. 366.

[9] UAT 126a/86, Spruchkammerentscheid v. 17.12.1948.

[10] Ebd.

[11] Zit. nach Daniels: Geschichtswissenschaft, S. 249.

[12] Daniels: Geschichtswissenschaft, S. 250.

[13] UAT 727/27, Schlussbemerkung zu den Rechercheergebnissen für Kurzbiografie Wahrhold Draschers.


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