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Ein Rundgang durch das Waagenmuseum Balingen

Balingen am Fuße der Schwäbischen Alb gilt mit den Firmen Bizerba und Kern & Sohn zurecht als Stadt der Waagen. Das „Waagenmuseum Balingen - Geschichte trifft Moderne“ im Zollernschloss zeichnet anhand von Dauerleihgaben des Bizerba-Mitinhabers Wilhelm Kraut senior die Geschichte der Waage von der Antike bis in die Gegenwart. Jasmin Hopfer stellt das Museum in sechs Stationen vor. 

Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.
Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.

Historie und Gegenwart vereint

Das mittelalterliche Zollernschloss, ehemalige Stadtburg der Grafen Zollern-Schalksburg, gilt mit seinen dicken Mauern und seinem Fachwerk als historisches Wahrzeichen der Stadt Balingen. Hier werden zusammen rund 500 Exponate der privaten Firmen-Sammlungen der beiden Waagen-Hersteller Bizerba und Kern & Sohn ausgestellt. Beide Traditionsunternehmen haben ihren Hauptsitz in Balingen. Bizerba wurde im Jahre 1866 von Andreas Bizer gegründet. Sein Schwiegersohn Wilhelm Kraut sen. (1875-1957), Ehrenbürger der Stadt Balingen, führte den Familienbetrieb weiter und legte den Grundstein für eine umfangreiche Sammlung historischer Waagen. Der Berliner Historiker und technische Schriftsteller Franz Maria Feldhaus (1874-1957) hatte den Plan zur Schaffung eines Waagen-Museums und führte die mehrjährigen Vorarbeiten zur Einrichtung des Museums durch. Im Jahre 1943 konnte die Stadt Balingen mit der Privatsammlung von Wilhelm Kraut das Waagenmuseum eröffnen.[1] Wegen eines drohenden Luftangriffs wurden die Exponate in Sicherheit gebracht und erst im Jahre 1951 erfolgte die Wiedereröffnung des Museums.[2] Die Sammlung von Wilhelm Kraut kann heute im ersten Obergeschoss des Zollernschlosses bewundert werden. Die technischen Waagen der Firma Bizerba sind im zweiten Obergeschoss untergebracht.

 

Die 1844 von Gottlieb Kern gegründete Firma Kern & Sohn gilt als die älteste Feinwaagenfabrik Deutschlands. In den 1970er Jahren stellte das Traditionsunternehmen die ersten halbelektronischen Feinwaagen her. Diese Waagen führten zu einem gravierenden Wandel in der Branche. Anlässlich der 750-Jahre-Feier der Stadt Balingen stellte Kern & Sohn eine Kollektion moderner technischer Waagen aus der eigenen Produktion zur Verfügung, welche seit der Museumsumgestaltung 2005 im oberen Geschoss den Besuchenden präsentiert werden.

 

Waagentypen aller Art

Die Waage hat sich als technisches Hilfsgerät über Generationen weiterentwickelt hat. Schon im alten Ägypten sind gleicharmige Waagen auf Zeichnungen dargestellt. Aus der Zeit der Römer sind ebenfalls Waagentypen bekannt. Im Waagenmuseum Balingen kann man die verschiedenen Arten von Waagen besichtigen. Von seltenen Exemplaren wie der römischen Schnellwaage und einer Besemer (ungleicharmige Balkenwaage) über mittelalterliche Ratswaagen, Tafelwaagen, Analysenwaagen, Dezimalwaagen, Personenwaagen, Laden - und Industriewaagen: Sechs Stationen sollen Impressionen in die Ausstellung geben und hoffentlich Lust auf mehr machen.

Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.
Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.

Station 1: Die älteste Waage des Museums - die Römische Schnellwaage

Das älteste Exponat ist eine etwa armlange Römische Schnellwaage aus Bronze. Diese Waage wurde im ersten Jahrhundert nach Christus hergestellt. Der Wiegebalken und das Laufgewicht sind aus Bronze in Handarbeit gefertigt. Ebenfalls befinden sich an dieser Waage zwei Aufhänge-Vorrichtungen, die mit Ketten versehen sind. Das Laufgewicht wurde mit Blei ausgegossen, die Aufhängungsöse ist aus Eisen gefertigt. Zwei Skalen wurden auf dem Waagebalken eingekerbt, für Fein - und Schwergewicht. [3] Diese Waage bietet den Vorteil, dass sie nur ein Gewicht hat, welches an der Waage bleibt und vor allem, dass der Nutzer der Waage nur eine Hand für dieses Gerät benutzen muss.[4]

 

Station 2: Gewichte aus Stein

Das erste Gewicht wurde in dem Zeitraum 1200-1500 in der romanisch-frühgotischen Zeit in Großdorf zu Egg im Bregenzer Wald aus Stein gefertigt. Es ist ein fast viereckiger Stein, mit einem Eisenring. An dem Ring sind noch einmal zwei eiserne Tarierglieder zum Verschieben der Gewichte auf dem Wiegebalken angebracht. Ein Stein so groß wie ein Schuhkarton wiegt fast 8 kg. Das zweite Gewicht, ebenfalls so groß wie eine Schachtel hat ein Gewicht von 11 kg und wurde in der romanischen Zeit 1000-1200 als kegelstumpfförmiger Sandstein mit einem Eisenring, gehalten mit einer Eisenöse, gefertigt. [5]

Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.
Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.

Station 3: Die Bäckerwaage

Die Bäckerwaage aus dem 17. Jahrhundert stammt aus dem Alpenland. Diese Waage wurde zum Abwiegen von Schotten (eine Art von Quark) und Butter verwendet. Sie ist ausgerüstet mit zwei Schalen, aber ohne Zunge. Damit gehört sie zu den primitivsten Bauformen einer Waage. Die Schalen sind mit Bindfaden aufgehängt und das Holz ist naturbelassen. [6] 

 

Station 4: Die Heuwaage in der Zehntscheuer

Die Heuwaagen waren im 18. Jahrhundert im Landleben gebräuchlich und hat eine einfache Bauweise. Eine um 1750 gebaute Heuwaage stammt aus Neuhaus bei Holzmindern und wurde aus Holz gefertigt. Sie wurde als Waage und Hubwerk für schwere Lasten verwendet. Der Heuwagen wurde mit vier Ketten an der Waage befestigt und gewogen. Dieses Exponat spannt zwischen dem eigentlichen Waagenmuseum und der Zehntscheuer eine Brücke. Eine solche Holzwaage gibt es in Deutschland nur drei Mal, deswegen ist sie unter den Waagen ein besonderer Schatz. Im Jahre 1951 wurde die Waage nach Balingen transportiert und im Jahre 1956 in der Zehntscheuer platziert und aktiviert.

 

Station 5: Philipp Matthäus Hahn - der Erfinder der Neigungswaage

Ohne Phillip Matthäus Hahn gäbe es heute keine Neigungswaagen. Der württembergische Pfarrer Philipp Matthäus Hahn und seine Nachfahren haben den Industriezweig der Waagen begründet. Eine Rekonstruktion des Prototypen einer Wand-Neigungswaage aus dem Jahre 1767, die komplett aus Holz gebaut wurde, kann ebenso im ersten Obergeschoss bestaunt werden. Diese Originale gehören zu den wichtigsten Ausstellungsstücken des Museums. Im ersten Schauraum können Münzwaagen, Haushaltswaagen, Dezimal- und Laufgewichtswaagen, Tafelwaagen, Briefwaagen, Federwaagen sowie Personenwaagen besichtigt werden. Im nächsten Raum können Zählwaagen, Plus/Minus Kontrollwaagen, Postwaagen, Industriewaagen und Fahrzeugwaagen von den Besuchern angeschaut werden.

 

Station 6: Bizerba und Kern & Sohn

Im zweiten Obergeschoss der Ausstellung sind verschiedenste Analysewaagen, Neigungswaagen, optisch-preisanzeigende Waagen und elektronische Ladenwaagen der Firmen Bizerba und Kern & Sohn zu besichtigen. Die nachgebaute Waagenbauer-Werkstatt des 19. Jahrhunderts dient im zweiten Obergeschoss als Blickfang. Der Besucher kann sich durch die originalgetreue Darstellung eines Arbeitsplatzes in die Welt eines Waagenbauers hineinversetzen und nachvollziehen, wie diese früher Waagen in Handarbeit hergestellt haben. In Vitrinen werden seltene Exponate mit Lichtakzenten sehr gut für den Gast in Szene gesetzt. Im zweiten Obergeschoss zeigt ein kurzer Film die Entwicklung der Waage und einen kurzen Überblick über die Firmengeschichte der Bizerba.

Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.
Bild: Jasmin Hopfer. Mit Genehmigung des Waagenmuseums Balingen.

Resonanzen

Es ist ein Museum für Jung und Alt. Ich beobachte ältere Besucher*innen, die sich erinnern, wie sie in Kindertagen bestimmte Waagen in Gebrauch hatten oder sie neu auf den Markt kamen. Für die jungen Besucher ist es eine Attraktion, die alten Waagen aus vorhergegangenen Jahrhunderten zu bestaunen und die technische Entwicklung nachvollziehen.

Meiner Meinung nach erfüllt die Ausstellung ihr Ziel: Wenn man keine Ahnung von Waagen hat, bekommt man im Zollernschloss einen idealen Überblick über die verschiedensten Typen von Waagen. Mit dem kompetenten Guide kann jede*r Besucher*in das Waagenmuseum auf eigene Art erkunden. Es ist ein chronologischer Rundgang durch die Welt der Waagen.

 

 

Eine Rezension von Jasmin Hopfer

Quellen zu diesem Text


Besucherinformationen

Anhand der Objektbeschriftungen oder mithilfe der kostenlos zur Verfügung gestellten Audioguides kann der Besucher eigenständig die Ausstellung erkunden. Führungen werden für Gruppen und Einzelpersonen angeboten, auf Wunsch auch in englischer oder französischer Sprache. Für hörgeschädigte oder erblindete Menschen werden spezielle Audioguides zur Verfügung gestellt. Junge Museumsbesucher und Schulklassen können in einem Werkraum verschiedenste Waagenmodelle mit Waagenbausätzen zusammenbauen und ausprobieren, wie diese Waagen funktionieren. Der Schätzsinn der jungen Gäste ist mit verschiedenen Aufgaben gefordert, sie dürfen zum Beispiel herausfinden, wie schwer ein Wal ist. Eine besondere Attraktion für die kleinen Besucher ist am Anfang des Rundgangs ein beinahe mannshoher Automat, die Bahnhofswaage. Die Kinder können ein Geldstück einwerfen müssen kurz das Klappern abwarten und schon halten sie ein Pappkärtchen in der Hand, auf dem ihr eigenes Gewicht ausgedruckt ist.[7]

 

Zur Vorabinformation kann der Besucher sich auf der Website des Waagenmuseums / Stadt Balingen: http://www.waagenmuseum-balingen.de informieren, sowie einen virtuellen Rundgang durch das Museum machen.

 

Fußnoten:

 

[1]vgl. Zeitungsartikel 1.)

[2]Die Privatsammlung von Wilhelm Kraut wurde der Stadt Balingen als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Für kurze Zeit konnte die Sammlung 1943 besichtigt werden. Da ein Luftangriff drohte, musste die Sammlung eingelagert werden. Die näheren Umstände der Leihgabe und die Rolle der Firmen in Balingen zur Zeit des Nationalsozialismus stellen ein Forschungsdesiderat dar.

[3]Zitat aus einem der Archivblätter.

[4]Zeitungsartikel 8.)

[5]Zitat aus einem der Archivblätter.

[6]Zitat aus einem der Archivblätter.

[7]Zeitungsartikel 8.)

 

Literatur:

 

Kiefer Susanne; Schimpf-Reinhardt Hans. Ausstellungskatalog „Geschichte der Wägetechnik. Museum für Waage und Gewicht, Zollernschloss Balingen“, Balingen 2015.

 

Archivquellen:

 

-Archivblätter des Stadtarchives Balingen

 

Zeitungsartikel:

 

1.) „Der Wille“ vom 31.05.1943 „Ein Hort unserer heimatlichen Kultur; Feierliche Wiedereröffnung des Balinger Heimatmuseums - Ein Museum für Waagen und Gewichte angegliedert; Der Welt erstes Waagenmuseum

 

2.) Stuttgarter Zeitung - Ausgabe vom 27.08.1959Im Waagenmuseum kann alles auf die Waage gelegt werden; Wertvolle Waagen aus allen Jahrhunderten und Kulturkreisen zeugen in Balingen von der Geschichte unserer Zivilisation

 

3.) Schwarzwälder Bote Ausgabe BL 17.08.1977Die älteste der ausgestellten Waagen ist etwa 2000 Jahre alt; In historischem Glanz zeigt sich das Schloß mit Waagen - und Heimatmuseum

 

4.) Schwarzwälder Bote Ausgabe BL 01.08.2005Quantensprung in Neuzeit; Zwei Traditionsfirmen und ein besonderes Jubiläumsgeschenk

 

5.) Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.01.2007, Nr. 1 / Seite T1 „Die Köchin hantierte nicht mehr mit Pfund und Lot; Die gewichtslose Neigungswaage des Philipp Matthäus Hahn im Museum für Waage und Gewicht im Zollernschloss Balingen

 

6.) Schwarzwälder Bote Ausgabe BL 13.01.2007 „Die Geheimnisse der Wägetechnik. Einblick in die regionale Geschichte der Feinmechanik - und in drei Museen.“

 

7.) Zollern-Alb-Kurier 22.08.2008Alte Waagen im Zollernschloss; In ganz Europa einzigartige Sammlung im Balinger Wahrzeichen

 

8.) TOP Magazin Herbst 2012 / 3Ein überaus lohnender Besuch WER WAAGT, DER GEWINNT; Europas bedeutendste Waagensammlung im Balinger Zollernschloss


 Jasmin Hopfer:

 Ein herzliches Dankeschön an das Stadtarchiv Balingen und den Mitarbeitern des Waagenmuseums für die Unterstützung und Führung!

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Kommentare: 1
  • #1

    Martina Barthelmes (Donnerstag, 05 November 2020 14:47)

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich suche für einen historischen Film über das britische Könighaus eine viktorianische Personenwaage, mit der die Queen alljährlich ihre Weihnachtsgäste wiegt.
    bisher hatte ich noch keinen Erfolg und wollte einmal bei Ihnen nachhören, ob
    sie mir einen Tip geben könnten...
    vielen Dank im Vorraus, Martina Barthelmes

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