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Zwischen Heimatromantik und Nazi-Ideologie – Die kontroverse Person des August Lämmle

Bild: Emil Stumpp, Public domain, via Wikimedia Commons. PD-US-expired.
Bild: Emil Stumpp, Public domain, via Wikimedia Commons. PD-US-expired.

August Lämmle – Pietistischer Mundartdichter, der in seinem Werk das ländliche Schwabenwesen wie kein Zweiter eingefangen hat, oder polemischer Nazi-Hetzer, der für den Nationalsozialismus und Adolf Hitler brannte? Wer sich mit dem Schriftsteller beschäftigt wird bald feststellen, dass es darauf wahrscheinlich keine so leichte Antwort gibt. In Württemberg hat Lämmle jedenfalls seine Spuren hinterlassen: 75 Straßen und Wege sind nach ihm benannt, dazu mehrere Schulen.

 

In den letzten Jahren rückt August Lämmle vermehrt ins Bewusstsein einer breiteren Bevölkerung, weil sich immer wieder Diskussionen um die Namen der nach ihm benannten Schulen und Straßen entzündeten. Denn während die einen mit Blick auf seine NS-Verstrickungen Umbenennungen fordern, genießt er in anderen Teilen der Bevölkerung großes Ansehen. Eines ist klar: Um August Lämmles Vermächtnis wird erbittert gekämpft.

 

August Lämmle wurde 1876 in Oßweil geboren. Nach dem Besuch der örtlichen Lateinschule war er ab 1896 23 Jahre lang an verschiedenen Orten im Ländle als Lehrer tätig, bis er 1919 für seine volkskundliche Forschung freigestellt wurde. Schon bald leitete er die Abteilung „Volkskunde“ im Landesamt für Denkmalpflege. 1929 wurde er Redakteur der Zeitschrift „Württemberg“, die er ab 1933 auch herausgab. In diesem Jahr trat er auch in die NSDAP ein.

 

Schon in den 90er Jahren gibt es Diskussionen um die Person August Lämmles, damals geht es um eine Straßenumbenennung in Marbach. Seither wird es nicht mehr ruhig um den Mundartdichter. Lämmles NS-Vergangenheit wird genauer unter die Lupe genommen und in verschiedenen Städten werden Umbenennungen gefordert – zuletzt in Leonberg. Dort gibt die Stadtverwaltung 2020 ein historisches Gutachten in Auftrag, das die Eignung August Lämmles als Namensgeber der Leonberger Grundschule prüfen soll.

 

Neben der NSDAP trat Lämmle außerdem der Reichsschrifttumskammer, der Reichspressekammer und dem Reichsbund deutscher Beamten bei, um seinen Beruf weiterhin problemlos ausüben zu können. Trotzdem stand sein Verhältnis zur NS-Diktatur zunächst unter keinem guten Stern: 1935 verbot ihm das Parteigericht das Bekleiden von Parteiämtern – denn August Lämmle war 19 Jahre lang Mitglied einer Freimaurerloge gewesen. Dieser vermeintliche Konflikt hinderte Lämmle allerdings nicht daran, das NS-Regime in den nächsten Jahren in den höchsten Tönen zu loben. 1935 beschrieb er den Hitlergruß als „unser Gebet zu Gott und unsere Bitte, daß Er ihm Heil und Segen gebe zu seinem Werk.“[1]

 

In seinem Gutachten kommt Historiker Peter Poguntke im Oktober 2020 zu einem klaren Ergebnis: Als Namensgeber für die örtliche Schule sei August Lämmle ungeeignet – zu überschwänglich Lob und Unterstützung für führende Nationalsozialisten, zu weitläufig die Anbiederungen an das NS-System. Als Reaktion kündigt die Leonberger Stadtverwaltung im Monat darauf die Umbenennung der August-Lämmle-Grundschule an. Kusterdingen zieht nach: Dort soll neben der Schule auch die August-Lämmle-Straße umbenannt werden. In Oßweil, dem Geburtsort des Dichters, lehnt der Gemeinderat eine Diskussion über den Namen der dortigen August-Lämmle-Schule allerdings ab.

 

Nachdem August Lämmle 1936 noch den Schwäbischen Dichterpreis erhielt, ging er 1937 in Pension. Schriftstellerisch war er weiterhin tätig, äußerte sich auch weiter sehr wohlwollend den Nationalsozialisten gegenüber. Die Nürnberger Rassengesetze bezeichnete er als „Dienst am Volkstum“[2], eine Rede Hitlers als „politische Worte von so hohem Geiste und so edler Sprache“ wie man sie „seit den Tagen Arndt und Fichtes nicht mehr gehört“[3] habe. Zum 50. Geburtstag des Gauleiters von Württemberg und Hohenzollern, Wilhelm Murr, widmete er diesem ein Gedicht in seiner Zeitschrift in dem er den Staat glücklich pries, „dem gütige Götter gegeben Führer und Volk aus dem ewigeinzigen Brunnen des Bluts.“[4] Im Jahr darauf wurde er von Murr zum Vorsitzenden des Bundes für Heimatschutz in Württemberg und Hohenzollern ernannt.

 

Während man sich in Leonberg und Kusterdingen schon auf die Suche nach neuen Namen macht, erhalten in Oßweil August Lämmle und die nach ihm benannte Schule, Straße und Turnhalle immer noch weitreichend Rückendeckung. Ein Ludwigsburger Stadtrat befürchtet, Lämmles Name würde „durch den Dreck gezogen“[5], ein anderer findet, heutige Zeitgenossen sollten sich nicht nachträglich als Richter aufspielen. In einem Zeitungsartikel vom 10.1.2021 beschwert sich eine Verwandte des Dichters, dass dieser in eine rechte Ecke gerückt werde, „in der er niemals gestanden habe.“[6] Leserbriefe sprechen von „Umbenennungsvirus“[7], „Anmaßung“[8] und „Moralapostel[n]“[9]. In Oßweil will man das Leonberger Gutachten nicht einfach so hinnehmen: So hofft der Vorstand des „Freundeskreis August Lämmle“, dass „dieses Gutachten die Diskussion in Oßweil nicht negativ beeinfluss[t].“[10]

 

1947, mittlerweile in Leonberg ansässig, musste sich August Lämmle im Zuge der Entnazifizierung in einem Spruchkammerverfahren verantworten. Zur Last gelegt wurde ihm vor allem ein Vorwort zu einer Neuauflage seines Buches „Herz der Heimat“, in dem er Adolf Hitler unter anderem  als „den gläubigsten und mutigsten Mann der deutschen Geschichte“[11] bezeichnete. Lämmle verteidigte sich vor Gericht erfolgreich, und mit der Unterstützung zahlreicher Entlastungszeugen wurde er als Mitläufer nur zu einer Geldstrafe verurteilt.

 

In der geschichtswissenschaftlichen Forschung wird das Ergebnis dieses Verfahrens als aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar bezeichnet. Schon 2005 vertritt Prof. Dr. Axel Kuhn von der Universität Stuttgart die Ansicht, dass die Richter 1947 mit Lämmles Werk nicht vertraut waren und ihn, bei Kenntnis von zusätzlichem Material, härter hätten bestrafen müssen. Auch Peter Poguntke kommt zu diesem Urteil: Er beschreibt das Urteil als unverständlich und als grobe Fehleinschätzung.[12] Wie wir heute wissen, ist das vielzitierte Vorwort kein Einzelfall: Mit nationalsozialistischem Gedankengut liebäugelnde Veröffentlichungen Lämmles ziehen sich durch die gesamte NS-Zeit.

 

Seinen Lebensabend verbrachte Lämmle hochangesehen in Leonberg. 1951 wurde ihm vom Land ein Professorentitel verliehen, im selben Jahr erhielt er in Leonberg die Ehrenbürgerwürde. 1955 wurde in Oßweil die neue Grundschule nach ihm benannt, 1956 erhielt er die Ludwigsburger Bürgermedaille. 1962 starb er in Tübingen, sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof in Stuttgart.

 

Die Person August Lämmles polarisiert. An seiner heimatverbundenen Mundartdichtung erfreuen sich noch heute viele Menschen, er konfrontiert uns aber auch mit der deutschen NS-Vergangenheit und damit, wen wir mit Schul- und Straßennamen als unsere Vorbilder inszenieren wollen. „Aufgeklärt“ ist in Lämmles Fall schon das Meiste - die Frage, was wir mit diesem Wissen anfangen, wird aber regional verschieden beantwortet.

 

Ein Beitrag von Frieder Matthies


Fußnoten:

[1] DLA  Marbach,  Zeitungsausschnittsammlung  der  Mediendokumentation,  Z:  Lämmle,  August,  ohne Zuordnung, o.J., zitiert nach: Peter Poguntke, Gutachten über die NS-Belastung von August Lämmle im Auftrag des Amts für Kultur und Sport der Stadt Leonberg, Neufahrn 2020, S.12.

[2] Württemberg. Schwäbische Monatshefte im Dienste von Volk und Heimat, 9. Jhg., Bd. 8 (1937), S. 299. Zitiert nach: Cornelius Renkl, Die zwei Gesichter des August Lämmle, Leonberg 2005., S. 13.

[3] Württemberg. Schwäbische Monatshefte im Dienste von Volk und Heimat, 10. Jhg., Bd. 3 (1938), S. 89. Zitiert nach: Elena Baumgärtel, …lächerliche Lobrede, in: Stephan Molitor (Hg.), Der Schwäbische Dichterkreis von 1938 und seine Entnazifizierung, Stuttgart 2019, S. 54–58, S. 55.

[4] Württemberg. Schwäbische Monatshefte im Dienste von Volk und Heimat, 10. Jhg., Bd. 12 (1938), S. 475. Zitiert nach: Cornelius Renkl, S.16.

[5] Uwe Roth, Ludwigsburg: Eine Stimme entscheidet über Beschluss, in: SWP, 2.2.2018.

[6] Christian Walf, „Vetter Lämmle“ und das Dritte Reich, in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 10.1.2021.

[7] Ilse Heer, Umbenennungsvirus. Zum Bericht "'Vetter Lämmle' und das Dritte Reich", in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 21.1.2021.

[8] Jochen Augat, Welche Anmaßung. Zum Bericht "'Vetter Lämmle' und das Dritte Reich" und zum Leserbrief "Steht uns das zu?", in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 22.1.2021.

[9] Ebd.

[10] Günther Buchholz, Vorstand des August Lämmle-Freundeskreises enttäuscht über Diskussion, in: Oßweiler Blättle, 1.2.2021.

[11] August Lämmle, Das Herz der Heimat. Eine Aussteuer aus dem schwäbischen Hausgut für unsere Söhne und Töchter daheim und draußen, Stuttgart 1940. Zitiert nach: Elena Baumgärtel, S.55.

[12] Die schwer nachvollziehbare Einstufung August Lämmles als Mitläufer war außerdem kein Einzelfall, sondern Teil der strukturellen Schwächen der alliierten Entnazifizierungsanstrengungen nach 1945. Vgl. hierzu: Clemens Vollnhals, Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949, München 1991.

 

Literaturverzeichnis:

Augat, Jochen: Welche Anmaßung. Zum Bericht "'Vetter Lämmle' und das Dritte Reich" und zum Leserbrief "Steht uns das zu?", in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 22.1.2021.

Baumgärtel, Elena: …lächerliche Lobrede, in: Stephan Molitor (Hg.), Der Schwäbische Dichterkreis von 1938 und seine Entnazifizierung, Stuttgart 2019, S. 54–58.

Buchholz, Günther: Vorstand des August Lämmle-Freundeskreises enttäuscht über Diskussion, in: Oßweiler Blättle, 2.1.2021.

Heer, Ilse: Umbenennungsvirus. Zum Bericht "'Vetter Lämmle' und das Dritte Reich", in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 21.1.2021.

Poguntke, Peter: Gutachten über die NS-Belastung von August Lämmle im Auftrag des Amts für Kultur und Sport der Stadt Leonberg, Neufahrn 2020.

Renkl, Cornelius: Die zwei Gesichter des August Lämmle (Broschüre), Leonberg 2005.

Roth, Uwe; Ludwigsburg: Eine Stimme entscheidet über Beschluss, in: SWP, 2.2.2018.

Walf, Christian: „Vetter Lämmle“ und das Dritte Reich, in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 1.10.2021.

 

Bild (externe Links, letzter Zugriff am 01.06.21)

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Kommentare: 3
  • #1

    Petra Frey (Sonntag, 06 Juni 2021 14:18)

    Lieber Frieder,
    Sehr informativ und spannend, auch richtig gut geschrieben, Danke!
    Petra

  • #2

    stefan (Montag, 17 April 2023 20:40)

    "Wir übergeben dem Feuer....die Bücher von"......merkt Ihr selbst in welche Richtung ihr triftet! Sozialisten bleiben Sozialisten.....ob National oder International! Alles was mit Heimat, Kultur und Tradition in Verbindung steht, müsst Ihr in den Dreck ziehen! Pfui Teufel!

  • #3

    Helmut (Sonntag, 24 September 2023 22:37)

    anschwellendes bocksgeheul

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