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Erinnerungspolitik in Namibia: Windhoek stürzt Kolonialdenkmal


Windhoek, Namibia. Seit 2020 wird im Stadtrat über ein Thema diskutiert: die Entfernung der Statue des deutschen Kolonialbeamten Curt von François (1852–1931). Diese wurde zwar erst nach der deutschen Kolonialzeit im Jahr 1965 – anlässlich des 75. Jubiläums der Stadtgründung durch von François – eingeweiht, doch sie verkörpert zugleich die koloniale Unterdrückung und die Brutalität der ehemaligen deutschen Kolonialmacht gegenüber der damaligen Bevölkerung. Am heutigen Mittwoch, dem 23. November 2022, wurde die Statue von ihrem Standort entfernt.


Die Curt-von-François-Statue bei der Independence Avenue. Bild: Kaina Nambunga.
Die Curt-von-François-Statue bei der Independence Avenue. Bild: Kaina Nambunga.

Zwischen verschiedenen Sehenswürdigkeiten und Denkmälern in Windhoek fand sich bis heute an prominenter Stelle, der Ecke Sam Nujoma Drive/Indepedence Avenue, das Denkmal für Curt von François. Er stand in Uniform, mit Hut und Säbel auf einem dreiseitigen Sockel; auf jeder Seite war eine Tafel mit demselben Text auf Deutsch, Englisch und Afrikaans angebracht. Der deutsche Text sprach von ihm nur als „Gründer Windhoeks“. Er war jedoch für das verantwortlich, was namibische Historiker*innen als „Massaker am Hornkranz“[1] bezeichnen: Am 12. April 1893 griff Curt von François mit seiner Schutztruppe die Gruppe der Witbooi an. Das Massaker gilt mittlerweile als das schwerste Verbrechen an den Nama, das von Deutschen begangen wurde, da sich dort bereits die Vernichtungsabsichten von Curt von François offen zeigten und von ihm selbst deutlich formuliert wurden. „Die Truppe hat den Auftrag, den Stamm der Witboois zu vernichten“[2], lautete der Befehl von François’ seinem eigenen Bericht zufolge.

 

Dem Massaker waren Auseinandersetzungen mit dem Kaptein Hendrik Witbooi (ca. 1830–1905) vorausgegangen. Witbooi wehrte sich, „Schutzverträge“ mit den Kolonialbeamten zu schließen, und war zugleich an militärische Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen beteiligt. Die deutschen Beamten sahen diese immer mehr als Problem bei dem Ziel an, die Kolonie wirtschaftlich rentabel zu machen und potentielle Kolonialisten anzusiedeln.[3] Als sich 1892 Witbooi und der neue Kaptein der Herero, Samuel Maharero (1856–1923), zu kooperieren drohten, sahen die Beamten vor Ort dringenden Handlungsbedarf. Um Verstärkung für die bisher kleine Schutztruppe zu erhalten, zeichnete Curt von François gegenüber der Metropole das Bild von Witbooi als „Räuber“, der sich zu einer zunehmenden Bedrohung entwickle.[4] Seinem Anliegen wurde Gehör geschenkt und kurz nach dem Eintreffen dieser Verstärkung erfolgte eben jener Angriff auf das Lager Hornkranz ohne Kriegserklärung. Auch wenn der Kaptein Hendrik Witbooi mit seinen Männern entkommen konnte: Ca. 80 Menschen wurden getötet, darunter viele Frauen und Kinder. Witboois Bibel und Peitsche, die 2019 zurückgegeben wurden, sind bei diesem Massaker erbeutet worden.[5] Dank eines Guerillakriegs gelang es den Witbooi später dennoch, die Kämpfe zu ihren Gunsten zu gestalten.[6]

 

Er ist auf fast allen Geldscheinen in Namibia zu sehen: Hendrik Witbooi auf dem 50-Dollar-Schein. Bild: Maren Brugger.
Er ist auf fast allen Geldscheinen in Namibia zu sehen: Hendrik Witbooi auf dem 50-Dollar-Schein. Bild: Maren Brugger.

Heute wird Hendrik Witbooi in Namibia als Nationalheld verehrt. Sein Gesicht ist auf fast allen namibischen Dollar-Scheinen zu sehen. 1905 wurde er von einer deutschen Kugel tödlich verletzt.[7] Über das Massaker in Hornkranz schrieb Witbooi einige Tage später folgende Zeilen:

 

"Hauptmann [von François] griff uns frühmorgens an, als wir ahnungslos schliefen, und obwohl ich meine Männer mobil machte, konnten wir sie [die Deutschen] nicht zurückdrängen; und der Hauptmann kam ins Lager und brandschatzte es auf so brutale Art und Weise, wie ich es einem Angehörigen eines zivilisierten weißen Volkes niemals zugetraut hätte […] Aber dieser Mann hat mich ausgeraubt und kleine Kinder an der Mutterbrust umgebracht, ebenso größere Kinder, Frauen und Männer. Die Leichen von Leuten, die erschossen worden waren, ließ er in unseren Grashütten verbrennen, sodass von ihren Körpern nichts als Asche übrig blieb".[8]

 

Witbooi beschreibt die Brutalität der Truppen von Curt von François sehr deutlich, besonders die Brutalität gegenüber Frauen und Kindern.[9]

 

Bereits 2015 gab es Forderungen, die Statue zu entfernen. Neuen Schwung bekam diese Forderung nach der Ermordung von George Floyd und der Entstehung der „Black Lives Matter“-Bewegung im Mai 2020. Wenige Wochen später kam eine von 1.600 Menschen unterschriebene Petition zustande, was angesichts der Einwohnerzahl Windhoeks und des recht neuen online Aktivismus durchaus bemerkenswert war.[10] So traf der Stadtrat, der 1965 entschieden hatte, die Statue Curt von François als Gründer von Windhoek zu widmen, Ende Oktober 2022 mit neun zu fünf Stimmen die Entscheidung für die Entfernung eben jenes Denkmals.[11] Nun wurde am heutigen Tag, dem 23. November 2022, die Statue entfernt – wie bereits im Jahr 2013 ein Reiterdenkmal in der Nähe. Sie wird laut Stadtrat ihr neues Zuhause im Lager des Windhoek City Museums finden, bis im kommenden Jahr eine abschließende Lösung gefunden werden soll.[12]

Angesichts der unzähligen kolonialen Spuren kann diese Entscheidung zunächst nur ein Mosaikstein sein. So rufen in Windhoek noch viele weitere Denkmäler und Straßennamen nach einer kritischen Auseinandersetzung – etwa die Bismarck Street oder die Nachtigal Street.

 

 

Ein Beitrag von Maren Brugger, Bernhard Schnabel und Johannes Thiede


Literatur:

Grewe, Bernd-Stefan: Restitution aus der Nähe betrachtet. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 72 (2021), S. 566–577.

Wallace, Marion: Geschichte Namibias. Von den Anfängen bis 1990, Basel 2015.

 

Links:

Public notice des Facebook-Accounts der City of Windhoek:

https://www.facebook.com/cowmunicipality/photos/a.548007961887567/5897716953583281/ (22.11.2022).

Becker, Heike: Review of African Political Economy: ‘A Curt Farewell’: decolonizing public space in Namibia (03.11.2022), unter: https://roape.net/2022/11/03/a-curt-farewell-decolonizing-public-space-in-namibia/#:~:text=On%2027%20October%202022%20the,capital's%20municipality%20offices%20since%201965 (22.11.2022).

The Namibian: MP demands von François’ fall (10.04.2015), unter: https://www.namibian.com.na/135676/archive-read/MP-demands-von-Fran%C3%A7ois%E2%80%99-fall-SWANU-president (22.11.2022).

 

Fußnoten:

[1] Vgl. Grewe, Bernd-Stefan: Restitution aus der Nähe betrachtet. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 72 (2021), S. 566–577, S. 571.

[2] Zitiert in: Deutsche Kolonialzeitung v. 24. Juni 1893, S. 90 (Bericht des Hauptmannes v. Francois [sic]), zitiert nach: Grewe, Restitution, S. 571.

[3] Vgl. Grewe, Restitution, S. 569 f.

[4] Vgl. Grewe, Restitution, S. 570.

[5] Vgl. Grewe, Restitution, S. 571.

[6] Vgl. Grewe, Restitution, S. 571 f.

[7] Vgl. Grewe, Restitution, S. 569.

[8] Lau (Hg.): Hendrik Witbooi Papers, S. 126 f., zitiert nach: Wallace, Marion: Geschichte Namibias. Von den Anfängen bis 1990, Basel 2015, S. 200.

[9] Vgl. The Namibian: MP demands von François’ fall (10.04.2015), https://www.namibian.com.na/135676/archive-read/MP-demands-von-Fran%C3%A7ois%E2%80%99-fall-SWANU-president (22.11.2022).

[10] Vgl. Becker, Heike: Review of African Political Economy: ‘A Curt Farewell’: decolonizing public space in Namibia (03.11.2022), unter: https://roape.net/2022/11/03/a-curt-farewell-decolonizing-public-space-in-namibia/#:~:text=On%2027%20October%202022%20the,capital's%20municipality%20offices%20since%201965 (22.11.2022).

[11] Vgl. Eilmeldung der Namibian Sun: https://twitter.com/namibiansun/status/1585751311139897344 (22.11.2022).

[12] Vgl. Public notice des Facebook-Accounts der City of Windhoek:

https://www.facebook.com/cowmunicipality/photos/a.548007961887567/5897716953583281/ (22.11.2022).


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