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Ein Schluck Freiheit – Der Cuba Libre und seine Geschichte(n)

Teil 2: Auf der Suche nach dem richtigen Rezept - Kubas koloniales Erbe und das Streben nach Selbstbestimmung

 


Besichtigung eines Lagers für Rumfässer im Museo del Ron Havana Club in Kuba. Bild: Max Witzler.
Besichtigung eines Lagers für Rumfässer im Museo del Ron Havana Club in Kuba. Bild: Max Witzler.

Nachdem die Zuckerwirtschaft Kuba zur profitabelsten spanischen Kolonie machte, erlangte es Ende des 19. Jahrhunderts mit amerikanischer Unterstützung die Unabhängigkeit von Madrid. Doch damit war Kuba nicht frei. Direkt im Anschluss wurde die Karibikinsel von US-amerikanischen Truppen besetzt, die erst abzogen, nachdem Havanna einige Selbstbestimmungsrechte zugunsten Washingtons aufgab und diesem außerordentliche Eingriffsmöglichkeiten einräumte. Aber was hat das alles nun mit dem Cuba Libre zu tun?

 

Seine Zutaten Rum und Cola sind direkte Überbleibsel imperialer Wirtschaftspolitik auf Kuba. Der Rum steht dabei für das spanische Erbe Kubas. Er wird aus Melasse destilliert, einem zähflüssigen dunkelbraunen Zuckersirup, der als Nebenprodukt bei der Herstellung von Rohrzucker anfällt. Bereits im 18. Jahrhundert war Rum ein beliebtes Exportgut der Karibik und trotz der hohen Investitionskosten für Destillerien eine lohnende Unternehmung. Durch seine Herstellung konnte aus den zuvor unbrauchbaren Überresten der Zuckerrohrverarbeitung ein zweites rentables Geschäftsfeld eröffnet werden. Mit dem „Zuckerboom“ des 19. Jahrhunderts expandierte auch die kubanische Rum-Industrie nochmals, sodass dort um 1860 gut 1365 Brennereien existierten, die oft auf spanischstämmige Unternehmer zurückgingen. Mit der US-Intervention 1898 nahm dann auch die Präsenz von amerikanischen Produkten in Kuba massiv zu. So wurde Coca-Cola um 1900 zum ersten Mal vom benachbarten Festland importiert. Zu diesem Zeitpunkt war Rum bereits ein fester Bestandteil der kubanischen Identität und Nationalgetränk des Karibikstaats. Wie genau der Highball, der heute als Cuba Libre bekannt ist, entstand, ist historisch kaum zu klären. Es existieren zahlreiche Geschichten, die aber vor allem einen anekdotischen Wert haben. So erklärte etwa Fausto Rodriguez Mitte der 1960er, dass er im Jahr 1900 dem ersten Mischen eines Cuba Libre als Botenjunge beiwohnte. Damals soll ein US-Offizier einen Barkeeper in Havanna darum gebeten haben, den kubanischen Rum Bacardi mit einer Coca-Cola zu mischen. Die Anwesenden sollen von dem Produkt so begeistert gewesen sein, dass sie es ihm gleichtaten und auf ein freies Kuba - ein „Cuba Libre“ anstießen. Dass Rodriguez während der Veröffentlichung dieser Erklärung für die Werbeabteilung von Bacardi arbeitete, die gerade eine Partnerschaft mit Coca-Cola eingegangen war und seine Geschichte darüber hinaus als Teil einer Webekampagne vermarktete, lässt jedoch berechtigte Zweifel an der Authentizität dieser Episode zu.

 

Getränke auf Basis von Rum, Zuckersirup und Limette haben Tradition in Kuba. Der Canchánchara gilt als ältester Cocktail Kubas und ähnelt der ursprünglichen Version des Cuba Libre stark, wird aber mit Honig statt Melasse zubereitet. Bild: Max Witzler.
Getränke auf Basis von Rum, Zuckersirup und Limette haben Tradition in Kuba. Der Canchánchara gilt als ältester Cocktail Kubas und ähnelt der ursprünglichen Version des Cuba Libre stark, wird aber mit Honig statt Melasse zubereitet. Bild: Max Witzler.

Viel wahrscheinlicher ist, dass US-Amerikaner Cola als beliebte Cocktailzutat auf Kuba etablierten, als sie die Insel besetzten. Dort konsumierte man schon seit längerer Zeit ein Mischgetränk aus Melasse und Rum oder Wasser, das während des Unabhängigkeitskampfes nach dessen Slogan benannt wurde: „Cuba Libre“. Es liegt nahe, dass der schon existierende Cuba Libre nun statt mit Melasse, mit dem etwas weniger zähflüssigen braunen Zuckersirup aus Atlanta gemischt wurde. Abgerundet mit Limetten entstand so einer der erfolgreichsten Longdrinks der Welt, dessen Genuss oftmals mit dem Gefühl von Freiheit assoziiert wurde. Etwa als sich das sonnige Kuba während der Prohibitionszeit zu einem willkommenen Ventil für US-amerikanische Touristen entwickelte, die der restriktiven Alkoholpolitik ihrer Heimat, zumindest kurzzeitig, entfliehen wollten.

 

Gleichzeitig war der Cuba Libre aber auch immer ein Symbol für die politischen Weltanschauungen seiner Konsumenten. In den westlichen Nachkriegsgesellschaften wurde er als ein Getränk der Freiheit verstanden, in dem das landwirtschaftliche Erbe der ehemaligen karibischen Kolonien mit der Soda-Marke verschmolz, die wie keine andere für amerikanischen Globalismus und Massenkonsum stand. 1945 landeten die Andrew Sisters mit „Rum and Coca-Cola“ einen Welthit, der nochmals beachtlich zur Bekanntheit des Longdrinks aus Rum in der spezifischen Kombination mit Coca-Cola beitrug. Wie wirkmächtig die Attraktivität des amerikanischen Befreiungsnarrativs dabei noch immer ist, verdeutlicht ein Werbespot, den Bacardi 2012 (externer Link) ausstrahlte. Dieser spielt im Jahr 1900 und zeigt einen Soldaten des amerikanischen Abenteurerregiments Rough Riders, wie er einer am Boden sitzenden Kubanerin eine Cola reicht. Diese zückt daraufhin einen Bacardi-Flachmann aus ihrem Holster, mischt den Inhalt der beiden Getränke und drückt den neu erfunden Cocktail dem verdutzten Abenteurer mit den Worten „Cuba Libre“ in die Hand.[1] Die merklich ironische Note des Beitrags kann dabei aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man den Cuba Libre im New Yorker Werbebüro von Bacardi noch immer als Symbol der amerikanischen „Befreiung“ Kubas betrachtet und sich selbst gerne an den Ursprung dessen Geschichte stellen möchte.

 

Enteignet, verstaatlicht, erfolgreich: Havana Club ist einer von wenigen Rum-Produzenten, die nach der Revolution 1959 auf Kuba blieben. Heute gilt er als Inbegriff für kubanischen Rum und liefert sich einen Markenstreit mit Bacardi. Bild: Max Witzler.
Enteignet, verstaatlicht, erfolgreich: Havana Club ist einer von wenigen Rum-Produzenten, die nach der Revolution 1959 auf Kuba blieben. Heute gilt er als Inbegriff für kubanischen Rum und liefert sich einen Markenstreit mit Bacardi. Bild: Max Witzler.

Auf Kuba selbst sah man das teilweise anders. Mit der kommunistischen Revolution unter Fidel Castro (1953-1959) gingen tiefgreifende wirtschaftliche Umwälzungen einher. So wurden alle großen Rum-Hersteller entschädigungslos enteignet und flohen daraufhin scharenweise ins Ausland. Bacardi etwa ging auf die Bahamas und Puerto Rico, Methusalem in die Dominikanische Republik. Die Angehörigen der Bacardi-Dynastie emigrierten größtenteils in die USA und versuchten von dort aus das kommunistische Regime in Havanna zu bekämpfen. Damit endete die Ära, in der kubanischer Rum den Weltmarkt beherrscht hatte. Mit der kommunistischen Revolution wurde der Import amerikanischer Produkte nach Kuba und der von kubanischen Produkten in die USA verboten. Doch der Cuba Libre blieb für Kubaner auf beiden Seiten des ideologischen Spektrums das „Getränk der Freiheit“. Exilkubaner in den USA bezeichneten ihn fortan oft als Mentirita (dt.: kleine Lüge) und bereiteten ihn aus Coca-Cola und einem der vielen Rums zu, die Kuba im Zuge der Revolution verlassen hatten. Und auch die Kommunisten auf der Heimatinsel zelebrierten mit dem Genuss des Getränks ihre Interpretation von einem freien Kuba. Libre bedeutete für sie Freiheit von der Diktatur, die sie mit ihrer Revolution gestürzt hatten und auch von den Interventionen aus dem übermächtigen kapitalistischen Nachbarland im Norden. Sie mischten ihren Cuba Libre fortan demonstrativ aus heimischen Produkten, bevorzugt aus Havana Club und der kubanischen Brause TuKola.

 

Ungeachtet der individuellen Zusammensetzung ist der Cuba Libre das global bekannteste Kulturgut Kubas, an dem sich die bewegte Entwicklung des Landes vor dem Hintergrund weltpolitischer Umwälzungen fassen lässt. In ihm fließen das spanische (Zuckerrohr, Rum) und das amerikanische Erbe (Cola) der Karibikinsel zusammen und dennoch ist er weit mehr als das reine Produkt imperialer Einflüsse. Fernab kosmopolitischer Interpretationen ist der Highball das Symbol der andauernden Freiheitskämpfe gegen unterschiedliche Mächte, die Kuba in den vergangenen 150 Jahren führte. Trotz seiner Erfolge geriet das Land dabei nahezu nahtlos von einer Abhängigkeit in die nächste (Spanien – USA – Sowjetunion), was es bis heute stark prägt. Der Cuba Libre ist deshalb auch immer ein Ausdruck der kubanischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Identität und genau deshalb, trotz aller externen Einflüsse, ein genuin kubanischer Longdrink. Ob man ihn symbolisch nun aus Bacardi und amerikanischer Coca-Cola, Havana Club und kubanischer TuKola oder aus einer anderen Kombination zubereitet, ist abhängig vom Geschmack und politischen Präferenzen. Aber auch wenn die Genießer des Cuba Libre unterschiedlichsten Weltanschauungen angehören mögen, sind sie in einem geeint: ihrem Verständnis des Cocktails als einem „Getränk der Freiheit“.

 

Ein Beitrag von Max Witzler



Literatur:

Kroener, Stephan, „Auf ein freies Kuba!“, in: g-geschichte, hrsg. Franz Metzger, September 2021.

Kroener, Stephan, „Der Griff nach Kuba“, in: spektrum, Heidelberg 2021, URL: https://www.spektrum.de/news/us-expansionismus-der-griff-nach-kuba/1841728 (25.05.2023).

McDaniel, Jared/ Anistatia Miller: Spirit of the Cane – The Story of Cuban Rum, London 2017.

Schoultz, Lars, “Benevolent Domination: The Ideology of U.S. Policy Toward Cuba,” Cuban Studies Vol. 41 (2010), pp. 1-19.

Tickner, Arlene, “Autonomy in Latin American International Relations Thinking.” In Routledge Handbook of Latin America in the World, edited by Jorge Domínguez and Ana Covarrubias, 74–84. New York 2015.

Zavatto, Amy, “The History and Secrets of the Cuba Libre”, in: liquor, New York 2020, URL: https://www.liquor.com/articles/cuba-libre/#:~:text=As%20the%20story%20goes%2C%20in,that%2C%20a%20legend%20was%20born. (25.05.2023).

 

Link zum Bacardi Werbespot von 2012: https://adage.com/article/news/bacardi-ad-creates-rum-coke-history/241559 (25.05.2023).

 

Fußnoten:

[1] Link zum Bacardi Werbespot von 2012: https://adage.com/article/news/bacardi-ad-creates-rum-coke-history/241559 (25.05.2023).

 


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