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Ein Sticker auf Reisen


Bild: Sonse, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons.
Bild: Sonse, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons.

Ein Sticker auf Reisen

An der Westküste Namibias befindet sich der Namib-Naukluft-Nationalpark mit den weltweit höchsten Sanddünen. In dieser einsamen Wüstenlandschaft steht ein ausgebranntes Autowrack mit einem gelben Aufkleber aus Baden-Württemberg. Woher das Auto kam und wie es dorthin gelangte, ist nicht bekannt. Ebenso unbekannt ist, wer den kleinen gelben Sticker dort wann anbrachte.        

                                     

Nicht nur in einer namibischen Wüstenlandschaft, auch in San Francisco,  Gibraltar, Hamburg und Thailand ist dieser Aufkleber zu finden. Auf diversen, meist privaten Social-Media-Seiten werden Bilder der angebrachten Sticker an den möglichst ungewöhnlichsten Orten geteilt und geliked. Als Urlauberin, die selbst aus Schwaben stammt, springen mir die Sticker auf jeder meiner Reisen ins Auge. Doch was hat es mit diesen gelben Aufklebern auf sich? Woher kommen sie und welchen Zweck sollen sie erfüllen?

 

Der Bäbber

Der Aufkleber oder – wie die Schwaben auch sagen würden –  Bäbber fällt bereits durch seine kanariengelbe Farbe ins Auge. In großen Buchstaben, die etwa ein Drittel des Stickers ausmachen, stehen die Worte „Nett hier.“ Darunter in kleinerer Schrift: „Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“ Im unteren Drittel des Stickers ist das Wappen des Landes abgedruckt, ebenso wie die Worte „Baden-Württemberg“ und „THE LÄND“. Die Sticker werden nach eigenen Angaben des Landes in Baden-Württemberg produziert und über den Online-Shop für 0€ „verkauft“.

 

Logo von „THE LÄND“, Wikipedia, 2023, URL: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:The-laend01.svg (30.01.2023).
Logo von „THE LÄND“, Wikipedia, 2023, URL: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:The-laend01.svg (30.01.2023).

Poliertes Image

Die Aufkleber waren sowohl Teil der Vorläuferkampagne „Wir können alles außer Hochdeutsch“ als auch der im Oktober 2021 angelaufenen Kampagne des Landes Baden-Württembergs „THE LÄND“. Über die Zeitspanne von drei Jahren werden dafür 21 Millionen Euro bereitgestellt. Konzipiert wurde die Kampagne von der Agentur Jung von Matt/NECKAR, die den internationalen Wettbewerb um die Kampagne gewann. Jung von Matt gestaltete aber nicht nur die Sticker. Auch T-Shirts, Bodys für Kleinkinder und Vesperbrettchen mit dem „THE LÄND“  Slogan können gekauft werden. Des Weiteren wirbt die Kampagne mit Plakaten, auf ihrer Website, auf den Social-Media-Accounts des Landes und durch ihren Auftritt bei Messen für das Bundesland. Anders als die Vorläuferkampagne „Wir können alles außer Hochdeutsch“, die als eine der erfolgreichsten Länderkampagnen gilt, zielt „THE LÄND“ dezidiert auch auf ein Publikum außerhalb Deutschlands.

 

Durch die neu angelaufene Kampagne möchte sich Baden-Württemberg nun auch global präsentieren: Als internationales, weltoffenes und einzigartiges Bundesland mit zahlreichen Standortvorteilen. Ein Teil dieser Kampagne ist das hier vorgestellte Objekt. Auf der Website des Landes werden die Besuchenden animiert, die kostenlosen Sticker überall in der Welt anzubringen. Fotos ihrer reisenden Aufkleber können auf Instagram an den Social-Media-Account des Landes, @thelaend, oder an diverse „Fänpages“ wie @netthiergoesinternational oder @nett_hier_ gesendet werden, welche diese dann veröffentlichen. Auch unter #thelaend oder #netthier werden zahlreiche private Fotos geteilt. So soll „THE LÄND“ auch im Ausland repräsentiert und Fachkräfte nach Baden-Württemberg gelockt werden. Ob sich dieser Intention der Sticker auch die Reisenden bewusst sind?

 

Auch andere Bundesländer werben für sich

Ähnliche Projekte sind auch aus anderen Bundesländern bekannt. Im Gegensatz zur Kampagne aus Baden-Württemberg wurde die Bevölkerung aus der Bundeshauptstadt Berlin direkt an der Entwicklung eines neuen Konzeptes beteiligt. Aufgrund der Ergebnisse von Bevölkerungsumfragen wurde der Fokus der Aktion auf einen stärkeren Zusammenhalt gelegt. Es handelt sich hierbei um ein Projekt von der Bevölkerung für die Bevölkerung und nicht wie in Baden-Württemberg für potenzielle neue Arbeitskräfte konzipiert.

Die Werbekampagne des Bundeslandes Sachsen verfolgt einen ähnlichen Zweck wie die Aktion der Schwaben. Mit Slogans wie „Heimat für Fachkräfte“ und „So geht sächsisch“ wirbt Sachsen für das Leben und Arbeiten in Sachsen. Ebenso wie in Baden-Württemberg wird durch eine umfangreiche Marketing-Kampagne um Fachkräfte und für das Leben und Arbeiten in Sachsen geworben. Wo Baden-Württemberg bewusst auf einen internationalen Zugang Wert legt, spricht Sachsen keine spezifische Zielgruppe an.

 

Kritik an der Kampagne

Es gibt auch Kritik an der Kampagne „THE LÄND“. Gerade in den sozialen Netzwerken wurde beim Start Kritik und Häme über die Farbe und den Slogan „THE LÄND“ laut. Nach einer Umfrage des Infratest dimap im Auftrag des Südwestrundfunks kannten 71% der Befragten Baden-Württemberger die Kampagne, 28% gaben an, dass sie mit der Kampagne nicht vertraut seien. Das spricht für die Verbreitung der Kampagne. Von den Befragten gaben aber auch 66% an, dass sie eher negativ oder sehr negativ auf die Aktion blickten. 25% der Befragten waren eher positiv bis sehr positiv gegenüber der Kampagne gestimmt.[1]

 

Sticker Fridays for Future, Fotografie Maren Brugger, 2023.
Sticker Fridays for Future, Fotografie Maren Brugger, 2023.

Kritik an Inhalt und Zweck der Kampagne äußerte auch der emeritierte Tübinger Professor für Medienwissenschaft Jürg Häusermann. Die Kampagne würde unter anderem durch die großen Betriebe im Lande gestaltet, welche sich dann die für sie passenden Arbeiter*innen aussuchten. Gleichzeitig würden Menschen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, die hier nicht willkommen wären. Es würden also Fachkräfte im Ausland gesucht werden, anstatt die Umstände für Zugewanderte in Baden-Württemberg selbst zu verbessern.[2]

 

Doch ein Erfolg?

Ob die Kampagne von Erfolg geprägt ist, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Das Land veröffentlicht aktuell keine Verkaufszahlen über die kostenlosen Aufkleber oder der geknüpften Kontakte. Die Auflagezahl der Vorläuferkampagne betrug im Jahr 2019 35.000 Aufkleber.[3]

Sticker Fachschaft Germanistik, Fotografie Maren Brugger, 2023.
Sticker Fachschaft Germanistik, Fotografie Maren Brugger, 2023.

Für den Wiedererkennungswert und damit auch für den Erfolg der Kampagne sprechen die zahlreichen Nachahmungen und Parodien. So bezog sich etwa Fridays for Future in Vorbereitung auf einen Streik auf die Kampagne mit „Nett hier. ABER wie lange noch?“ Einen humoristischen Ansatz wählte die Fachschaft Germanistik in Tübingen mit ihren Stickern „Scheiße hier. Aber waren Sie schon mal im Brechtbau (Gebäude der Neuphilologie, Anm. d. Red.)?“ Mit der Parodie „Wir können alles. Außer Mathe.“ bezog sich die Fachschaft zuvor bereits auf die Vorläuferkampagne des Landes „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ Der Ministerpräsident des Landes Winfried Kretschmann äußert sich positiv über den Verlauf der Imagekampagne. Die Aktion sei ein Erfolg. Dass es am Anfang heftige Kritik gegeben hätte, sieht er auch als etwas Positives. Es zeige die Aufmerksamkeit, die die Kampagne erlangt hat.[4]

 

Zurück nach Namibia

Ob die Person, die den Sticker in Namibia anbrachte, dabei an den Fachkräftemangel in Baden-Württemberg dachte, ist fraglich. Dennoch sind die Sticker ein Teil der Kampagne: Sie werden kostenlos im Internet bestellt und als unbezahltes und freiwilliges Marketing weltweit angebracht und gelesen. So werden die Bäbber von Thailand über Südafrika bis nach San Francisco  gefunden und – wohl noch viel wichtiger – über die sozialen Medien weltweit verbreitet. Aber ob sie dort auch als Teil der Kampagne verstanden werden und dadurch Fachkräfte nach Baden-Württemberg locken, wird erst die Zukunft zeigen.

 

Ein Beitrag von Carolin Mai

 

 


Weiterführende Literatur:

Homepage der sächsischen Kampagne, URL:  (28.01.2023).

Homepage der sächsischen Kampagne, URL:  (28.01.2023).

Homepage der Kampagne aus Baden-Württemberg, URL:  (29.01.2023).

Homepage der Kampagne aus Berlin, URL: https://wir.berlin/ueber-uns (28.01.2023).

 

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 1. Auto mit Sticker, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nice_here._%28Nett_hier.%29_But_have_you_been_to_Baden-W%C3%BCrttemberg_%28Aber_waren_Sie_schon_mal_in_Baden-W%C3%BCrttemberg,_Germany%3F%29_sticker_%2837713545446%29.jpg (30.01.2023).

Abb. 2. Logo von „THE LÄND“, Wikipedia, 2023, URL: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:The-laend01.svg (30.01.2023).

Abb. 3. Sticker Fridays for Future, Fotografie Maren Brugger, 2023.

Abb. 4. Sticker Fachschaft Germanistik, Fotografie Maren Brugger, 2023.

 

Fußnoten:

[1] Pfahlbusch, Susan: Schlechte Umfragewerte. Menschen wenig begeistert von Imagekampagne “THE LÄND“ (21.04.2022), in: URL: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/bw-trend/umfrage-imagekampagne-the-laend-102.html [29.01.2023].

[2] Noël, Sophie: „Fän von The Länd?“ (06.12.2021), in: URL https://www.kupferblau.de/2021/12/06/faen-von-the-laend/ (29.01.2023).

[3] Stanek, Julia: Warum sich Stuttgart über dieses Bikini-Posting freut (10.07.2019), in URL: Instagram-Werbung: "Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?" - DER SPIEGEL [29.01.2023].

[4] Grah, Annika: War Baden-Württemberg unzufrieden mit der Kampagne „The Länd“? (22.11.2022), in URL: https://www.esslinger-zeitung.de/inhalt.kretschmann-erklaert-agenturwechsel-war-baden-wuerttemberg-unzufrieden-mit-der-kampagne-the-laend.1724333e-fad2-43db-8e99-95ed8e9ea165.html (28.01.2023).

 



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