Swakopmund, Namibia. Die kleine Stadt an der windigen Küste, von deutschen Siedlern gegründet, hat sich herausgeputzt. Wo sonst außer
Sandlandschaften, salziger Luft und kaltem Ozean kaum etwas Grünes zu finden ist, stehen hier Palmen, bunt angelegte Blumenbeete und gut erhaltene Häuser in kolonialem Stil. In der Innenstadt
deutsche Cafés, deutsche Straßennamen und deutsche Sprache. Man fühlt sich fast wie zuhause. Doch etwas trübt das romantische Bild, das die meisten Touristen von der Stadt mit nach Hause tragen.
Der Kolonialismus hat hier sichtbare Spuren hinterlassen. Spuren, die nach Reflexion und Aufarbeitung verlangen. Spuren von systematischer Unterdrückung der lokalen Bevölkerung und
KZ-Lagerhaft.
Offensichtlichstes Relikt der kolonialen Vergangenheit ist ein Denkmal im Zentrum der Stadt. Es ragt circa vier Meter in die Höhe und befindet sich direkt gegenüber von Bars und Cafés, die hauptsächlich von Weißen besucht werden. Das Denkmal erinnert an die sogenannten Schlachten, die hier von deutschen Marinekorps-Soldaten gegen die vorgeblich ‚aufständischen‘ Einheimischen geführt wurden. Es dankt den Kolonialsoldaten für ihren Dienst gegenüber Kaiser und Vaterland und nennt auf zwei weiteren Tafeln ihre grobe Todesursache – Krankheit, Verwundung, Gefecht. Die Tafeln selbst sind an einem großen Felsen angebracht. Auf dem Felsen steht ein Soldat in voller Montur mit Gewehr und schreitet in der Bewegung eingefroren Richtung Osten – in Richtung Inland? An der Seite des Mannes liegt ein weiterer Soldat im Sterben. Seine Ausrüstung um ihn verstreut. Die beiden gusseisernen Mitteleuropäer treten auf ihrem Felsen einsam aus einer Grünfläche hervor. Im Osten eingerahmt von einer Hauptverkehrsstraße und im Süden von einem tiefergelegenen Platz, der Swakopmunds Zentrum bildet und von lokalen Händler*innen genutzt wird. Im Schatten des Denkmals verkaufen sie Souvenirs an Tourist*innen und lassen Fotos mit sich machen. Es sind Verkäufer*innen, die an anderen ‚Touri-Attraktionen‘ auch aufzufinden sind und in manch einem Fall – wenn kein bares Geschäft mit den Tourist*innen möglich ist – auch offen um Essen betteln. Die erwähnten Cafés auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes sind, ähnlich wie das Denkmal, auch leicht erhöht gebaut und bieten eine gute Sicht auf das Treiben. Weiß blickt hier auf Schwarz hinunter. Ein Symbolbild für Swakopmunds (post)koloniales Selbstverständnis. Bereits seit 1969 ist das Denkmal Teil des ‚Namibian National Heritage’ und wird durch staatliche Gelder erhalten.[1] Geht man von besagtem Platz in Richtung Strandpromenade begegnet man einem weiteren Denkmal – keine 200 Meter vom Kolonialdenkmal entfernt. Hier wird den Soldaten der beiden Weltkriege gedacht. Wieder sind es Weiße, die hier Weißen gedenken.
(Post)koloniale Wüstenaktivitäten
Am Rande Swakopmunds beginnt die Wüste Namib. Große Sanddünen ragen hier von der Küste her aus der steinigen Landschaft hervor. Möchte man diese Wüste als Tourist erleben, kann man dort Quad fahren und auf Kamelen reiten. Neben den Quad-Bahnen grenzt eine braune Mauer den städtischen Friedhof ein. Er besteht aus einem europäischen und einem afrikanischen Teil. Hinter einem Brachfeld, dass sich ebenfalls in der Eingrenzung befindet und sich rund hundert Meter Richtung Osten erstreckt, steht ein Gedenkstein. Hinter dem Stein beginnt ein weiteres Gräberfeld. Kein befestigter Weg führt hier hin. Es stehen keine Kreuze. Die Gräber sind Sandhügel, die leicht aus dem Wüstenboden ragen. Es sind tausende. Hier liegen Herero und Nama, die in Swakopmunds Konzentrationslager auf verschiedene Weise von Deutschen getötet wurden. Nicht nur liegt dieser Teil des Friedhofs abgetrennt von den beiden anderen da, er ist auch nirgendwo sonst im Stadtbild Swakopmunds sichtbar gemacht. Sämtliche Schilder verweisen nur auf den städtischen Friedhof, der für Tourist*innen eher wenig interessant ist. Nur wer von seiner Existenz weiß, kann diesen Ort auf Google Maps finden. Die Gedenkstätte ist auch weit weniger prachtvoll gestaltet als die Denkmäler, die Weiße für Weiße gebaut haben. Die große Trennlücke zwischen den Friedhöfen steht hierbei nahezu symbolisch für den Abstand, den man zur eigenen Vergangenheit zu gewinnen sucht. Auch der Gedenkstein selbst war noch bis vor Kurzem von der kolonialen Perspektive der Vergangenheit geprägt. Bevor der Gedenkstein im Jahre 2020 umgestaltet wurde, stand hier, dass die Herero unter „mysterious circumstances“, unter mysteriösen Umständen, durch die „German colonial masters“ umgekommen seien. Eine Auslegung, die an Geschichtsrevisionismus grenzt.
Doch das ist noch nicht alles: Weitere Hügel in der Landschaft legen nahe, dass sich einige Gräber auch außerhalb der gezogenen Friedhofsmauer befinden, wo nun Tourist*innen – wenn auch vielleicht unwissend – auf den Gräbern der getöteten Herero, San und Nama Quad fahren, Kamel reiten oder mit ihren Hunden spazieren gehen.
Epilog
In der Ferne, direkt hinter dem weitläufigen Gräberfeld, steht ein großer, gelber Rahmen. Die Koordinaten Swakopmunds und der Stadtname sind darauf zu lesen. Touristen können hier Fotos vor dem Wüstenpanorama machen. Auf den Fotos zu sehen: Ein Gräberfeld.
Ein Beitrag von Timo Mäule
in Zusammenarbeit mit Maren Brugger
Fußnoten:
[1] Vogt, Andreas: National Monuments in Namibia. Marine-Denkmal, Windhoek 2004, S. 85-88.
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Jennifer Francke (Mittwoch, 12 Oktober 2022 22:15)
Danke für diesen faszinierenden Bericht!
Rainer (Sonntag, 24 November 2024 17:30)
Vielen Dank für den Beitrag, leider nehmen die lächerlichen Gendersternchen der Ernsthaftigkeit der Sache den Raum.