Tatort „Hotel Silber“. Ein fast in Vergessenheit geratener Erinnerungsort

Das Hotel Silber und die Zeit. Bilder: Haus der Geschichte Baden-Württemberg.*
Das Hotel Silber und die Zeit. Bilder: Haus der Geschichte Baden-Württemberg.*

Unscheinbares Bauwerk, schreckliche Vergangenheit.

Mitten in Stuttgart. Mitten im Zentrum. Inmitten eines schon fast vergessenen Verbrechens. In Anbetracht der imposanten Fassade würde man nie auf die Idee kommen, welche Geschichte sich mit diesem Bauwerk verbindet. Beim genaueren Hinschauen aber fallen auf den Außenwänden die Wörter „Vorurteil, Haft, Verfolgung, Mut und Würde“ auf, die auf die nationalsozialistische Nutzung des „Hotel Silber“ hinweisen. Man kann kaum erahnen, dass einst in diesem Gebäude Menschen ihrer Würde beraubt wurden und dass Recht damals nicht Sicherheit bedeutete.

 

Beim Betreten des Hauses bemerkt man direkt im Eingangsbereich eindrucksvolle Säulen, die auf das ursprüngliche Hotel hindeuten, welches der Hotelier Heinrich Silber im Jahre 1874 erwarb und zum nobelsten Etablissement in Stuttgart ausbaute. Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte das Land Württemberg das Hotel und verpachtete es an die Deutsche Reichspost. Ab 1928 übernahm es die landesweit agierende Politische Polizei als Präsidium. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers wurde das Haus zum württembergischen Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) umgewandelt, welche die jüdische Bevölkerung, ausländische Minderheiten wie zum Beispiel sowjetische Zwangsarbeiter*innen, politische Gegner*innen sowie Roma*Romnja und Sinti*Sintize überwachte und verfolgte. Nach Auflösung der Gestapo mit Beendigung des Krieges gerieten die Verbrechen, welche in diesem Haus begangen wurden, schnell in Vergessenheit. Bis Mitte der 1980er Jahre nutzte die Stuttgarter Kriminalpolizei das Gebäude als Dienstsitz.

 

 Das heutige Foyer. Bild: Haus der Geschichte  Baden-Württemberg / Daniel Stauch
Das heutige Foyer. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch

Gedenken statt shoppen.

 

Nicht nur die Geschichte dieses Hauses scheint lang zu sein, auch der Weg in die Umwandlung zu einem Gedenkort erwies sich als ein mühsamer Akt. Nachdem die Kriminalpolizei ausgezogen war, wurde das Kaufhaus Breuninger für die Planungen des späteren Dorotheen-Quartiers verantwortlich und sah einen Abriss des Hotels vor, um einen haushohen Komplex mit Einkaufsflächen, Gastronomie und Büros zu errichten. Doch auf diese Forderungen reagierten rasch Trägervereine der „Erinnerungsarbeit“ und die SPD-Stadträt*innen, insbesondere Monika Wüst und Ulrike Küstler, verlangten zumindest ein Mahnmal oder eine Gedenkstätte in einer der Neubauten. Letztendlich rang die Initiative Hotel Silber zusammen mit Zeitzeug*innen insgesamt zehn Jahre um den Erhalt der ehemaligen Gestapo-Zentrale in Stuttgart. Im „Hotel Silber“ lassen sich heute die Spuren dieser verschiedenen Geschichten entdecken. Auf dem Weg zur Dauerausstellung erfährt man, welche Nutzung das Gebäude nach 1945 erfuhr und welche Debatten infolgedessen ausgelöst wurden. Dadurch erhält man einen übersichtlichen Einblick darüber, wie schwer sich der Ausbau zum Erinnerungsort gestaltete. Eine im alten Foyer angebrachte Gedenktafel zeigt den Streit um die Erinnerung auf. Außerdem wird ein Zeitzeugeninterview mit Franz Hirth angeboten, welches man sich in einem Video anschauen kann. Darin erzählt der 85-jährige, wie er am 13. November 1939 mehrere Stunden im Eingangsbereich der Gestapozentrale verbrachte, weil sein Vater von der Gestapo verhört wurde, und wie dies sein Leben nachhaltig veränderte. Der Ortsbezug ist augenscheinlich, denn die Filmaufnahmen dazu fanden hinter der ehemaligen Pförtnerloge statt.

 

Collage im ersten Stock. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch.
Collage im ersten Stock. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch.

Geschichte selbst entdecken.

Vom Foyer aus gelangt man in die erste Etage zur Dauerausstellung, die thematisch in vier zeitliche Abschnitte gegliedert ist. Beim Eintritt in den ersten Raum wird man von einer überdimensionalen, den ganzen Flur einnehmenden schwarz-weißen Collage überrascht, die einen Gestapo-Beamten darstellt. Beim näheren Betrachten fallen lauter kleine Porträts in Passbildgröße von Dutzenden Beschäftigten der Gestapo aus dem „Hotel Silber“ auf, die durch ihre Masse als ein Gesamtkunstwerk wirken und somit auch den Inhalt dieser Ausstellung aufgreifen: Insgesamt wird in 14 Räumen die Geschichte der Polizei im „Hotel Silber“ als Institution in der Zeit von 1928 bis 1984 gezeigt, wobei das konkrete Handeln der Ermittler*innen sowie dessen Folgen im Fokus stehen. Für jeden Abschnitt steht ein kurzer grafischer Überblick zur Verfügung, der mit Fragestellungen endet, um den Besucher*innen ein besseres Verständnis für die Komplexität der gezeigten Exponate zu ermöglichen. Abschließend findet im letzten Ausstellungsraum ein Bezug zur Gegenwart statt.

Ausstellungsraum. Bild: Haus der Geschichte  Baden-Württemberg / Daniel Stauch.
Ausstellungsraum. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch.

In jedem Raum sind an der linken Wandseite schwarze Tafeln angebracht, welche zeigen, wie sich die Polizei im „Hotel Silber“ entwickelt hat. In der Mitte der Räume stehen Tischvitrinen, welche die Aufgaben von den Polizist*innen erläutern und auch Einzelfälle aufzeigen. Ergänzt werden die Vitrinen durch Filminstallationen und Tablets, an denen man je nach Interesse zusätzliche Informationen abrufen kann. Auch belegen diverse Schaubilder, wie man aus der Stuttgarter Gestapo willfährige Täter*innen für die Tötungsmaschinerie rekrutierte. Auffällig ist die Aufteilung durch die beiden Farben schwarz und weiß, welche Täter*innen von Opfern signifikant unterscheiden.

 

Die Dauerausstellung beginnt mit dem Zeitraum von 1928 bis 1933 und beschreibt den Werdegang der Politischen Polizei von der Demokratie bis in die Diktatur. Dabei sind die Auseinandersetzungen mit den politischen Gegner*innen ins Zentrum gesetzt, welche durch Tagebucheinträge, Briefe und sogar zu lösende Rätsel veranschaulicht werden. Um die Handschriften entziffern zu können, stehen Lesehilfen für Besucher*innen zur Verfügung, die eine intensivere Auseinandersetzung mit den Quellen ermöglichen. Außerdem erhält man den Eindruck, in einem Archivraum zu stehen, da beinahe durch die gesamte Ausstellung unzählige Archivkartons aufgestellt sind, die in ihrer optischen Wirkung einen Eindruck des historischen Arbeitens vermitteln. In allen Räumen bekommen die Besucher*innen die Möglichkeit, sich Interviews von Zeitzeug*innen anzuhören, auch von Täter*innen, welche dadurch den Zeitgeist grundsätzlich verständlicher machen.

 

Die Zellentür. Bild: Haus der Geschichte  Baden-Württemberg / Daniel Stauch.
Die Zellentür. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch.

Der zweite Raum handelt von der Geheimen Staatspolizei als Stütze der nationalsozialistischen Regierung in der Zeit von 1933 bis 1939. Als thematischer Einstieg dient ein Auszug der Wahlkampfrede Hitlers in Stuttgart, danach wird die ganze Bandbreite an politischen Entwicklungen zusammengefasst. Im nächsten Raum werden dann diverse Verfolgte aus jener Zeit vorgestellt, unter anderem auch Hans Scholl. Weiter in der Ausstellung geht es dann um die Geschichte der Gestapo als eigenständige Organisation, deren Radikalisierung sowie um den „auswärtigen Einsatz“ in umkämpften Gebieten. Mithilfe eines Touchscreens in Form einer Landkarte kann man sich nähere Informationen zu diesen Gebieten anschauen. Des Weiteren wird in einem kurzen Abschnitt auf die Verfolgung von Roma*Romnja und Sinti*Sintize und die Rolle, die racial profiling dabei spielte, eingegangen. Es werden Personalkarten gezeigt, die veranschaulichen, wie akribisch und detailliert die Gestapo die äußere Erscheinung von Menschen beschrieb, damit man diese in verschiedene „Gattungen“ kategorisieren konnte. Auch die Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen wird hier thematisiert. Diese kamen meist auf dubiose Art und Weise ums Leben, was unter anderem anhand gefälschter Todesanzeigen aufgezeigt wird. Im vorletzten Raum ist eine Zellentür zu sehen, die sich beidseitig sowohl aus der Perspektive der Gefangenen als auch der Täter*innen betrachten lässt. Auf die Innenseite wurden von verzweifelten Gefangenen Graffitis geritzt.

 

Die Ausstellung schließt mit der Geschichte der Stuttgarter Polizei in der Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik. Im Gesamtkontext stellt sich den Besucher*innen die Frage nach der Kontinuität der Verfolgung, die sich auf die Gegenwart bezieht und zur Reflexion auffordert. Ein Medientisch in der Mitte des letzten Raumes zeigt, dass es noch immer viele Vorurteile bei Polizist*innen gibt. So werden weiterhin bestimmte Menschen und Gruppen gesellschaftlich benachteiligt. Schließlich wird gefragt, was man selbst von dieser Thematik hält und kann sich diesbezüglich auch äußern, indem man seine eigene Meinung mittels eines Blatts Papier an die Wand pinnt.

 

Weiterer Ausstellungsraum. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch.
Weiterer Ausstellungsraum. Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch.

Lebendige Einrichtung. 

Die Gestaltung der Dauerausstellung erweist sich als besonders abwechslungsreich, da unterschiedliche Methoden angewendet werden und somit einen Besuch nicht eintönig, sondern spannend gestalten. Die historischen Ereignisse werden aus regionaler Perspektive vorgestellt. Dennoch kommt eine allgemeine Kontextualisierung nicht zu kurz und es wird immer wieder auf die viel weitläufigeren Verstrickungen hingewiesen. Die Besucher*innen erhalten dadurch eine Idee vom Gesamtkonzept des geheimdienstlichen Apparates der Gestapo und dies stellt somit einen sinnvollen Ansatz dar. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Kriminalpolizei nach 1945 zwar bestrebt war, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, es aber gleichzeitig auch Kontinuitäten gab. Nach Kriegsende arbeiteten noch immer 14 ehemalige Gestapo-Mitarbeiter*innen bei der Stuttgarter Kriminalpolizei. Außerdem fällt auf, dass es auch explizit um die Aufarbeitung der Täter*innen-Geschichten geht und man gezwungen wird, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Ihnen werden deutlich mehr Exponate gewidmet, doch wirkt dies nicht redundant, sondern ermöglicht einen facettenreichen Blick auf ein kontrovers diskutiertes Problem.

 

Im „Hotel Silber“ ist ein außerordentlich gut gelungener Geschichts- und Lernort entstanden, der mit zahlreichen audiovisuellen Medien ausgestattet ist, dadurch an unser modernes digitales Zeitalter anknüpft und Geschichte unmittelbar erlebbar macht. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erweist sich Geschichtsvermittlung weiterhin als eine Herausforderung; und für viele Jugendliche besteht wenig Anreiz, museale Einrichtungen zu besuchen, da auch zu diesem Thema keinerlei Generationsbezug mehr vorhanden ist. Umso erfreulicher ist es hier, dass der Versuch stattfindet, Jugendliche aus ihrer eigenen Lebenswelt abzuholen, da es in dieser Dauerausstellung nicht nur um Aufarbeitung von Geschichte geht, sondern auch um Werte wie Toleranz, Gerechtigkeit und Menschlichkeit, welche die Basis unserer heutigen Gesellschaft sind.

 

Ein Beitrag von Tamara Gajić


Literatur und Quellen (externe Links):

 

Abel, Katharina: Wider das Vergessen: NS-Erinnerungsort „Hotel Silber“ in Stuttgart eröffnet, veröffentlicht am 04.12.2018, unter: https://www.dw.com/de/wider-das-vergessen-ns-erinnerungsort-hotel-silber-in-stuttgart-eröffnet/a-46572128 (letzter Zugriff 21.05.2021).

 

Baumann, Immanuel: Gestapo und Judenmord: Lehr- und Lernheft für einen Workshop im "Hotel Silber": mit Materialien zur schulischen Vor- und Nachbearbeitung Sekundarstufe I (niveaudifferenziert) und II. Stuttgart 2019.

 

Hemberger, Valentin J.: Geschichte wird bewahrt – das “Hotel Silber” wird Lern- und Gedenkort, veröffentlicht am 03.09.2019, unter: https://www.des-volkes-stimme.de/geschichte-wird-bewahrt-das-hotel-silber-wird-lern-und-gedenkkort/ (letzter Zugriff am 21.05.2021)

 

Jehle, Stefan: Erinnerungsstätte „Hotel Silber“, unter: https://www.landeskunde-baden-wuerttemberg.de/hotel-silber-erinnerungsstaette (letzter Zugriff am 21.05.2021).

 

Ostertag, Roland: Der Fall Silber. Ein Skandal. Stuttgart 2011.

 

Schöll, Torsten: Hotel Silber in Stuttgart. Erinnerungsort für die Bürokratie des Terrors, veröffentlicht am 30.11.2018, unter: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hotel-silber-in-stuttgart-erinnerungsort-fuer-die-buerokratie-des-terrors.943d5e03-2dba-4f88-acc1-bced4938e771.html (letzter Zugriff am 21.05.2021).

 

Schönwetter, Christian: Erinnerungsort Hotel Silber in Stuttgart. Wo Bürokraten mordeten, veröffentlicht am 03.12.2018, unter: https://www.db-bauzeitung.de/bauen-im-bestand/erinnerungsort-hotel-silber-stuttgart/ (letzter Zugriff am 21.05. 2021).

 

Schunder, Josef: Hotel Silber: Der späte Sieg der Bürger, veröffentlicht am 02.12.2018, unter: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.erinnerungsstaette-in-stuttgart-hotel-silber-der-spaete-sieg-der-buerger.573ff83a-6796-43ef-8663-9005fad1bdb6.html (letzter Zugriff am 21.05.2021).

 

ury: Viel Zuspruch für das Hotel Silber, veröffentlicht am 29.11.2019, unter: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ehemalige-gestapo-zentrale-in-stuttgart-viel-zuspruch-fuer-das-hotel-silber.91020fda-bc60-4742-9baf-66609e1d0de2.html (letzter Zugriff am 21.05.2021).

 

 

Vowinkel, Judith: Hotel Silber: Rede von Stadträtin Judith Vowinkel im Gemeinderat, veröffentlicht am 13.07.2015, unter: https://www.spd-rathaus-stuttgart.de/meldungen/hotel-silber-rede-von-stadtraetin-judith-vowinkel-im-gemeinderat/ (letzter Zugriff am 21.05.2021).


Bilder: Pressefotos des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg. Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt. 

 

*Collage (GIF):

- 2011_1111.jpg: Postkarte, Haus der Geschichte Baden-Württemberg.

- A2011_0354_01.jpg  und A2011_0354_17.jpg: Aufnahmen aus dem Jahr 2014. Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Rose Hajdu.

- A2012_0238_02.jpg: Fotografie; NS-Zeit. Stadtarchiv Stuttgart.


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