Zwischen Forschung und Vermittlung - Wie das Deutsche Historische Institut in Warschau Deutschland mit Polen und Wissenschaft mit der Öffentlichkeit verbindet


Im Rahmen seines Masterstudiengangs in der Geschichtswissenschaft absolvierte Wilhelm Röper von September bis November 2024 ein 12-wöchiges Praktikum beim DHI in Warschau. Dort erhielt er die Möglichkeit, die spezifische Rolle eines deutschen Geschichtsinstituts in Polen im Bereich der Forschung und der öffentlichen Geschichtsdiskurse kennenzulernen. Darüber hinaus gestaltete er einen deutsch-polnischen Workshop des Instituts über jüdische Geschichte in Schlesien mit. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen.

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DHI Warschau befindet sich im Karnicki-Palais. Foto: Szczebrzeszynski, via Wikimedia Commons.

Wie kommt es, dass du ein Praktikum in Polen gemacht hast?

Die Profillinie Public History (externer Link) ermöglicht es Studierenden des Tübinger Masterstudiums Geschichtswissenschaft, ein dreimonatiges Praktikum zu absolvieren. Zuvor hatte ich schon einige Praktika gemacht, um mich auf mögliche berufliche Arbeitsfelder vorzubereiten. Ich war zum Beispiel bei der ARTE-Redaktion in Mainz und auch beim Hölderlinturm in Tübingen. Doch dabei fehlte mir oft die historische Forschung – deshalb interessierte ich mich für die Deutschen Historischen Institute der Max Weber Stiftung. Neben Public History habe ich großes Interesse für osteuropäische Geschichte entwickelt, also entschied ich mich für den Standort Warschau. Und bisher war ich nur einmal in Polen gewesen und noch nie in Warschau.

 

Was macht ein deutsches Geschichtsinstitut im Ausland?

Die Institute der Max Weber Stiftung wollen zur internationalen Vernetzung der geschichtswissenschaftlichen Forschung beitragen, indem deutsche Forscher*innen mit denen des jeweiligen Landes zusammenarbeiten. Diese Institute beschäftigen deshalb deutsche und aus dem jeweiligen Inland kommende Wissenschaftler*innen, sodass verschiedene Perspektiven zusammenfließen. Außerdem kann so die Aufmerksamkeit der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit auch auf Themen gelenkt werden, die bis dahin vor allem im anderen Land thematisiert werden.

 

Wie erfüllt das DHI in Polen diese Rolle?

Das DHI in Warschau unterscheidet sich wegen der eng verknüpften Geschichte Deutschlands und Polens in einer anderen Position als etwa das DHI in Washington. Durch die polnisch-deutsche Zusammenarbeit kann es zur gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte beitragen, in der Polen wiederholt von Deutschland überfallen wurde. Bereits für die deutsch-französische Freundschaft war diese historische Zusammenarbeit ein wichtiger Grundpfeiler, und dieses Ziel verfolgt man auch in Warschau. Eine symbolische Funktion hat ein DHI also auch. Außerdem wissen viele Menschen in Deutschland, auch aus dem akademischen Milieu, erstaunlich wenig über die polnische Geschichte, weshalb deutschsprachige Publikationen nützlich und wichtig sind. Auf der anderen Seite bringt das DHI den „deutschen Ansatz“ zur Erforschung der jüdischen Geschichte mit, was zur Zeit der PiS-Regierung wiederholt zu erinnerungspolitischen Konflikten führte.

 

Inwiefern engagiert sich das DHI in der Public History?

Das DHI sieht seine primäre Aufgabe in der historischen Forschung und in der Public History. Aber das Institut tritt immer wieder an die Öffentlichkeit: es gibt regelmäßig frei zugängliche Vorträge (externer Link) auf Englisch, Polnisch und Deutsch, manchmal werden Ausstellungen organisiert oder Workshops für Studierende angeboten wie der, bei dem ich selber mitgewirkt habe. Vorträge zu in Polen kontrovers diskutierten Themen wie der Mitverantwortung polnischer Einwohner*innen bei der Judenverfolgung ziehen mitunter ein sehr großes Publikum an und erregen auch mediale und politische Aufmerksamkeit. Zum Beispiel kam es 2023 bei einem Vortrag des polnischen Historikers Grabowski am DHI  zu einem Eklat (externer Link), der sogar auch durch die deutsche Presse ging. Plötzlich erlangte dieses historische Forschungsthema enorme Reichweite. Eine wirklich an Personen ohne Fachkenntnisse gerichtete Kommunikation gibt es aber selten.

Die Synagoge in Ziebice. Foto: Halicki, CC BY-SA 3.0 PL, via Wikimedia Commons.
Die Synagoge in Ziebice. Foto: Halicki, CC BY-SA 3.0 PL, via Wikimedia Commons.

Welche Aufgaben hast du während des Praktikums übernommen?

Vor allem habe ich an einem Forschungsprojekt mitgearbeitet, bei dem es um den polnischen Widerstand im späten 19. Jahrhundert (externer Link) ging. Da konnte ich meine im Studium erlernten Fähigkeiten und das erworbene Wissen anwenden, und das konkret im Kontext wissenschaftlicher Forschung. In der zweiten Hälfte half ich bei der Konzeption eines Workshops zur Frage, wie sich die verlassene Synagoge im südschlesischen Ziębice bewahren und neu nutzen lassen könnte.

 

Dieser Workshop klingt nicht nach dem, was man von einem Forschungsinstitut erwartet. Wie genau lief das ab?

Unter der Anleitung von Historiker*innen des DHI und in Kooperation mit der TU Braunschweig und der Hochschule Mainz sollten deutsche und polnische Studierende der Architektur-, Bauingenieur- und Hebraistik zusammenarbeiten. Neben der Schadensbeurteilung und Schaffung eines digitalen 3-D-Modells des Gebäudes sollten am Ende Vorschläge ausgearbeitet werden, wie das Gebäude in Zukunft erhalten und genutzt werden könnte. Das kulturelle jüdische Erbe sollte erkennbar bleiben, gleichzeitig wurde die Stadtgesellschaft eingebunden, um für sie sinnvolle Ideen zu entwickeln und eine Belebung des Gebäudes zu erreichen.

 

Du hattest von einem eigenen Forschungsprojekt gesprochen. Was hast du erforscht?

Vor und während des Aufenthalts in Ziębice habe ich unter den Teilnehmenden und der lokalen Bevölkerung, die mit mir reden konnten und wollten, Befragungen durchgeführt. Damit wollte ich herausfinden, wie man diese Idee, die verlassene Synagogen umzuwidmen, ohne den Wert als Denkmal zu schmälern, besser umsetzen könnte. Das ist deshalb relevant, weil es in Polen einige hundert sich im Verfall befindende Synagogen gibt, deren Gemeinden bis 1945 ausgelöscht worden waren oder deren überlebende Mitglieder bis 1968 auswanderten. Um diese Gebäude, und damit einige der letzten Hinweise auf über 1000 Jahre jüdische Geschichte in Polen, nicht verschwinden zu lassen, müssen die Gebäude unterhalten werden. Da das viel Geld kostet, passiert das am ehesten, wenn man Leuten die Nutzung der Gebäude ermöglicht. Dann haben diese ein Interesse daran, diese zu erhalten und zu pflegen.

Der Workshop war in dieser Hinsicht ein Pilotprojekt, das hoffentlich Nachahmer*innen findet. Dafür könnten meine Ergebnisse hilfreich sein.

 

Was hast du von dieser Erfahrung des Praktikums für dich mitnehmen können?

Ich konnte einen Einblick in die Welt der forschenden Historiker*innen erhalten. Ich hadere seitdem zwar mit dieser Laufbahn, da man aufgrund von zeitlich begrenzten Verträgen nur bedingt Arbeits- und Standortsicherheit hat. Aber auch das ist ein wertvoller Erkenntnisgewinn für mich. Ich finde es spannend, dass man gerade am DHI in Warschau sieht, wie politisch Geschichte sein kann. Der Workshop hat mir zum einen sehr viel Freude gemacht und zum anderen gezeigt, wie sich Menschen für Geschichte begeistern können, wenn sie in ihrer Stadt passiert und sichtbar gemacht wird oder man sich mit ihr im Rahmen der eigenen Arbeit auseinandersetzen muss, so wie es die Architekturstudenten*innen zum Beispiel getan haben. Der Bereich Public History ist daher für mich interessanter geworden.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Ein Interview von Marie Lindenthal


Tübingen, 17.4.2025


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Foto: Maren Brugger.
Foto: Maren Brugger.

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