Interview mit Prof. Dr. Peter Rückert: Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, Kurator und Dozent


Prof. Dr. Peter Rückert hat Geschichte, Germanistik und Volkskunde in Würzburg studiert und zur Siedlungsgeschichte Mainfrankens im Mittelalter promoviert. Anschließend hat er das Referendariat für den höheren Archivdienst in Marburg absolviert und ist mittlerweile Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart sowie Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Im Interview gibt er Einblicke in die Aufgaben eines Archivars und zeigt Chancen und Herausforderungen dieses Berufsfeldes auf.

 

Peter Rückert. Bild: (C) Peter Rückert.
Peter Rückert. Bild: (C) Peter Rückert.

Herr Rückert, warum haben Sie Geschichte studiert?

Geschichte war für mich ein Neigungsfach im Studium. Ich habe mich schon während meiner Schulzeit im Geschichtsleistungskurs am Gymnasium in Wertheim sehr für Geschichte interessiert und wurde dadurch auch angeregt, das Fach in Würzburg zu studieren. Das größte Interesse habe ich konkret für das Mittelalter entwickelt. Deshalb habe ich dieses auch mit der mittelalterlichen Germanistik kombiniert und fand es dabei wichtig, vor allem auch die landesgeschichtliche Komponente zu vertiefen. In meiner fränkischen Heimat fand ich sehr viele spannende Themen und habe von dort aus meinen Schwerpunkt der mittelalterlichen Geschichte und Landesgeschichte gefunden, bis hin zur Doktorarbeit.

 

Wie und weshalb sind Sie anschließend Archivar geworden?

Das begann schon unmittelbar mit der Doktorarbeit, weil ich hier sehr intensiv in Archiven forschen sollte; ganz konkret in Wertheim und in Würzburg, in den staatlichen Archiven und dann auch in vielen Privatarchiven. Es hat mir Freude gemacht, mit den alten Schriften umzugehen, Neues zu entdecken, schöpferische Geschichtsschreibung daraus werden zu lassen und damit die große Chance zu haben, Geschichte auch selbst zu entwickeln und Neues zu vermitteln.

 

Wie haben Sie anschließend zum Hauptstaatsarchiv Stuttgart gefunden?

Als meine Promotion auf einer befristeten Stelle fast abgeschlossen war, riet mir mein Doktorvater Rolf Sprandel, dass ich doch durch meine Nähe zu den Archiven versuchen sollte, im Archivwesen eine dauerhafte Stelle zu finden. Das hat sofort in meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg geklappt. Als Wertheimer wurde ich dann als Referendar hier ins Hauptstaatsarchiv Stuttgart geschickt, immer noch mit der Option, vielleicht an die Universität zurückzukehren. Meine wissenschaftliche Neugier hat sich stets weiterentwickelt, aber inzwischen habe ich in diesem Berufszweig meine Berufung gefunden.

 

Sie sind mittlerweile der Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. Was sind in dieser Position Bereiche Ihrer Tätigkeit?

In der Zwischenzeit hatte ich die Chance, für die ältere Überlieferung zuständig zu sein. Das heißt, die Neigung, Quellen zur Landesgeschichte dann auch zu erschließen und zu vermitteln, konnte ich vertiefen. Mit dieser direkten Erfahrung in unterschiedlichen Archiven – zunächst im Generallandesarchiv in Karlsruhe und dann später im Hauptstaatsarchiv Stuttgart – habe ich gemerkt, dass es doch Herausforderungen des Berufs gibt, die mich persönlich ansprechen. In einer Verantwortungsposition gibt es im Hauptstaatsarchiv die Möglichkeit, Einiges zu gestalten – ganz in dem beruflichen und auch wissenschaftlichen Sinne, der mir vor Augen stand. Daher habe ich vor dreieinhalb Jahren nicht ‚nein‘ gesagt, als sich mir die Möglichkeit bot, hier die Leitung zu übernehmen.

Die Aufgabenbereiche, die sich damit ergeben, sind natürlich deutlich anderer Natur als das, was man sich als archivischer Wissenschaftler vorstellt. Ich habe sehr viel mit Verwaltung und Management zu tun, es gibt insbesondere Herausforderungen im Rahmen der sogenannten digitalen Transformation. Das betrifft auch die Altbestände, um sie digital zu erschließen, aber vor allem auch die Hauptaufgabe der Überlieferungsbildung – die Archive wählen quasi die Quellen aus dem Behördenschriftgut aus, die dann für die künftige zeitgeschichtliche Forschung relevant werden, um damit die Geschichte der heutigen Zeit zu schreiben. Dieses im Konzert mit anderen großen professionellen Partnern zu tun, bis hin zur Verwaltung und zur Wissenschaft sind Herausforderungen, die mich sehr reizen und die ich gerne angenommen habe.

 

Zudem sind Sie noch Kurator. Sie kuratieren regelmäßig Ausstellungen. Das gehört nicht unbedingt zu einer typischen Archivtätigkeit, oder?

Man muss vielleicht differenzieren, dass der Beruf des Archivars sich dahingehend verändert hat, dass die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wichtiger wird. Das Hauptstaatsarchiv sowie die gesamte Kulturmeile hier mitten in Stuttgart leben von Präsenz: von der Präsenz durch Vermittlung der Schätze, die wir hier im Hauptstaatsarchiv haben; von der Präsenz durch Ausstellungen auch der Politik den Boden für öffentliche Auftritte zu bereiten; von der Nachfrage an uns, uns am kulturellen Leben zu beteiligen, was wir gerne machen und wovon ich auch persönlich überzeugt bin. Mit großer Begeisterung bearbeiten wir Themen, die wir mit unseren eigenen Beständen wirklich professionell darstellen können und so kommen wir von dem einen zum anderen Thema bis hin zum aktuellen Jubiläum des Bauernkriegs, dazu gestalten Landesmuseum und Hauptstaatsarchiv begleitende Ausstellungen (externer Link).

 

Das sind sehr spannende Projekte, die Sie vorbereitet haben und die Sie aktuell vorbereiten. Wie sieht Ihr momentaner Arbeitsalltag aus? An welchen Projekten sind Sie noch beteiligt?

Wir haben eine Zwei-, Dreijahresplanung, die am Haushaltsbudget hängt, das wir natürlich berücksichtigen müssen. Das ist nicht besonders groß, so dass wir daher auf Partnerschaft und Unterstützung angewiesen sind. Deswegen sind wir bei der Planung, was die nächsten zwei bis drei Jahre angeht, schon sehr konkret.

Um den Arbeitsalltag konkret anzusprechen: Durch die aktuelle Ausstellung [Herzog Ulrich und die Bauern im Krieg von 1525, Anm. d. Red.] bin ich auch sehr als Kurator gefordert und habe täglich mindestens eine Führung. Außerdem bin ich für das Personalwesen, die Verwaltung und die Strategieprozesse des Landesarchivs verantwortlich. Man kann sich vorstellen, dass etwa der halbe Tag momentan auch mit Verwaltungsarbeiten hier im Büro vor sich geht, mit vielen Gesprächen, mit Kontakten in die Politik, aber natürlich auch in die Wissenschaft und anschließend mit eigenen Führungen und Präsentationen von Ausstellungen. Die nächsten Jahre sind durch große Landesausstellungen geprägt. Die nächste große Ausstellung heißt dann 2026/27 „Jüdisches Leben im deutschen Südwesten“, und auch dabei sind wir mit unseren Quellen breit aufgestellt und aktuell gerade intensiv in Gesprächen mit dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg.

Das Institut français in Stuttgart feiert nächstes Jahr ich 75-jähriges Jubiläum und die französischen Partner haben uns auch gefragt, ob wir eine kleine deutsch-französische Ausstellung zur Verbindung von Deutschland und Frankreich machen können. Wir hatten vor kurzem noch eine Ausstellung zu Württemberg und dem Elsass gezeigt, die[2]  wir weiter in die Neuzeit führen können, um damit dem Institut français eine Plattform zu bieten, sich bei uns zu präsentieren. Das sehe ich auch sehr positiv, es gibt uns die Möglichkeit, uns mit unseren internationalen Partnern auch in der Kulturpolitik zu positionieren.

 

Unter all diesen Tätigkeiten, die Sie bereits genannt haben: Was bereitet Ihnen an Ihrem Arbeitsplatz am meisten Freude?

Die Vielfalt der Tätigkeit ist hoch spannend. Sie verbindet zum einen die Möglichkeit, mit den eigenen Quellen – sofern es die Zeit ermöglicht – zu arbeiten und damit Wissenschaft zu betreiben. Diese Forschung kann ich auch im Rahmen meiner Honorarprofessur an der Universität Tübingen an Studierende vermitteln und kann diese mit dem Arbeiten im Archiv vertraut machen. Ich habe die Möglichkeit, die Ausbildung für angehende Archivarinnen und Archivare in die Zukunft hinein zu gestalten und damit auch die Qualität der Ausbildung zu sichern. So muss ich Herausforderungen von Archiv, Wissenschaft, Forschung und Verwaltung synchron bewältigen. Das macht mir viel Freude. Im Archivalltag fehlt mir manchmal die Zeit, um mich noch intensiver mit den Inhalten zu beschäftigen. Das versuche ich dann eben im Rahmen meiner Hochschullehre zu vertiefen.

 

Das klingt nach einer sehr erfüllenden Tätigkeit! Sie haben den Nachwuchs gerade schon angesprochen. Was ist denn Ihr konkreter Rat an Studierende, die sich für den Archivdienst interessieren?

Ich finde es ganz wichtig, dass Studierende, die sich den Archivarsberuf als eine Möglichkeit aus dem Geschichtsstudium heraus vorstellen können, sich sehr bald den Archiven annähern. Also schon während des Studiums die Möglichkeit suchen und auch finden können – zumindest in Tübingen und auch in Stuttgart – an Exkursionen bzw. Seminaren in den Archiven selbst teilzunehmen, um sich der Überlieferung zu nähern, die dort im Original noch zu erfassen ist. Dass sie sich von der Chance anregen lassen, wie ich damals, eben auch Neues zu entdecken, die wissenschaftliche Neugier durch Quellenstudium zu bedienen und damit dann eben auch in die Wissenschaft einzutreten. Das heißt, ich würde in der Tat empfehlen, möglichst bald Kontakte zu suchen, sich dann auch nicht zu scheuen, ins Archiv zu gehen und sich dort Archivalien zum eigenen Thema vorlegen zu lassen und damit zu arbeiten. Dass sich die Studierenden auch die Kompetenzen, die Kenntnisse aneignen, um die alten Schriften zu lesen und zu verstehen und so  auch die Organisationsformen in einem Archiv wahrnehmen. Dass sie sich damit auch anregen lassen, bei guter universitärer Betreuung in Richtung Archiv auch entsprechende  Abschluss- bzw. Qualifikationsarbeiten anzugehen, um so bei einer Bewerbung für den Archivarsberuf zu zeigen: Man hat dafür Interesse und kann auch mit einer gewissen Erfahrung aufwarten.

Was dazukommt, ein zweiter Punkt: Auch wir bieten Praktika an (externer Link), die sehr gesucht sind, die aber auch durchaus weiterführen. Verschiedene Sparten von Archiven, bei den Kommunen, den Landkreisen, den Kirchen, ermöglichen solche Praktika. Natürlich muss man die eigene Erfahrung erst selbst machen, aber es hat sich gerade in den letzten Ausbildungsjahren gezeigt, dass immer diejenigen, die sich schon in etwa vorstellen konnten, was auf sie zu kommt, eben auch ziemlich sicher sein können, dass der Archivarsberuf ihren Vorstellungen in aller Regel entsprechen kann.

 

Vielen herzlichen Dank für das Interview!

 

Ein Interview von Maren Brugger


Interview vom 5.3.2025, Stuttgart


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Foto: Maren Brugger.
Foto: Maren Brugger.

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