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Von Tübingen in die Welt? Eduard Haber und der Kolonialrevisionismus

Bild: Bleistift-Karikatur Haber, Timo Mäule.*
Bild: Bleistift-Karikatur Haber, Timo Mäule.*

Am 30. August 1990 erschien im „Schwäbischen Tagblatt“ in der Reihe „Von Straßen und Plätzen in Tübingen“ ein Artikel über die Eduard-Haber-Straße im Tübinger Ortsteil Lustnau. Dies sollte eine kommunalpolitische Debatte auslösen, die die Universitätsstadt noch zwei Jahre lang beschäftigen würde. Die Straße wurde anlässlich des 70. Geburtstag Eduard Habers am 1. Oktober 1936 nach ihm benannt. Der Geehrte lehrte zu dieser Zeit an der Eberhard-Karls-Universität und konnte auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Im Jahre 1990 schienen nun einige Aspekte seiner Biographie anrüchig geworden zu sein. Das Datum der Straßenbenennung lässt bereits aufmerken – jedoch bleibt der Nationalsozialismus nur eine Facette des historischen Hintergrundes, vor dem sich Haber bewegte.

 

Unter Tage und Übersee

Eduard Johann Carl Emil Haber wurde am 1.Oktober 1866 in Riesa/Schlesien geboren. Nach seinem Abitur 1884 trat er in die Fußstapfen seines Vaters und schlug eine Laufbahn als Bergingenieur ein. Da er jedoch während der Grubentätigkeit ein Auge verlor, führte er seine Karriere auf administrativer Ebene fort – und das äußerst erfolgreich. Bis 1900 stieg er zum stellvertretenden Hütteninspektor auf.

 

Im darauffolgenden Jahr trat Haber in den „Reichskolonialdienst“ ein. In der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika (auf dem heutigen Gebiet von Ruanda, Burundi und Tansania) erklomm er schnell die koloniale Karriereleiter. Am 20. April 1902 wurde er zum Regierungsrat ernannt, ein Jahr später zum ersten Referenten (Verwaltungsbeamten) bei Gouverneur Graf Adolf von Götzen in Dar es Salam (im heutigen Tansania, damals Deutsch-Ostafrika, Kolonie des Kaiserreichs). Haber war zunächst für die Förderung deutscher Bergwerksunternehmen bei der Erschließung von Lagerstätten zuständig. Von 1905 bis 1906 vertrat er Gouverneur von Götzen sechs Monate lang und wurde zum Geheimen Regierungsrat ernannt.

 

Diese Vorerfahrung sollte Haber später nützlich sein, ab 1914 waren seine Vertreterqualitäten in „Deutsch-Neuguinea“ (heute unter anderem die Inseln um Papua-Neuguinea), einer weiteren deutschen Kolonie, gefragt. Hier organisierte, oder treffender: improvisierte der Kolonialbeamte den bewaffneten Aufstand gegen die australische Flotte zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Nach einigen relativ blutigen Auseinandersetzungen, Einsicht der Niederlage und der Unterzeichnung der Kapitulation wurden Haber und einige weitere wichtige Personen aus dem Verwaltungskorpus über Australien und Amerika repatriiert. Zurück in Deutschland durfte Haber den Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn erleben. Er wurde mitten im Krieg zum Gouverneur von Deutsch-Neuguinea ernannt, wenn auch gegen den Willen Kaiser Wilhelms.

 

„Was Haber damals in fremder Herren Länder an Erfahrungen sammelte, sollte in Zukunft dem Deutschen Reich dienen."[1] – Haber in Tübingen

 

Bild: Lisa Blum.
Bild: Lisa Blum.

Nach 1918 und mit dem Versailler Vertrag „verlor“ das Deutsche Reich all seine Kolonien – und Haber damit seine Arbeit. Trotzdem blieb der ehemalige Gouverneur seiner Lebensaufgabe verschrieben. Auf Anfrage der Universität Tübingen begann er 1930 einen Lehrauftrag über „internationale Kolonialpolitik und Rohstoffwirtschaft“ an der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Somit konnte er die Jugend für eine erneute koloniale Betätigung Deutschlands ausbilden und weltanschaulich vorbereiten. 

 

Habers Karriere in Tübingen hatte jedoch keinen leichten Start. Schon bei der Erteilung seines Lehrauftrags wurden Bedenken geäußert, dass die Vorlesungen nur schwach besucht seien. Tatsächlich musste bereits die Veranstaltung „Grundsätze des Kolonialrechts und internationale Kolonialpolitik“ im Sommersemester 1930 ausfallen. Mit seiner gesamten Lehrtätigkeit verhielt es sich ähnlich durchwachsen. Dies hielt den ehemaligen Gouverneur jedoch nicht davon ab, an der Universität politisch aktiv zu werden. Am 21. Mai 1931 fand in Tübingen eine „Kolonialkundgebung“ mit Haber als Hauptredner statt. Auf Beschluss studentischer Vertreter einer Kolonialarbeitstagung wurden am selben Tag an Universitäten in ganz Deutschland ähnliche Veranstaltungen abgehalten, um auf die stattfindenden Mandatsberatungen in Genf einzuwirken. 

 

Haber forderte in seiner Rede eine Gleichberechtigung Deutschlands im System der Mandatsverwaltung. Als „Kulturvolk“ müsste das deutsche Volk seine wissenschaftlichen Errungenschaften mit „fremden Stämmen teilen“, um nicht selbst „in Eigenbrödelei [sic] zu verkümmern“.[2] Als Industrienation bräuchte Deutschland außerdem Rohstoffe und Absatzmärkte, und deutsche Unternehmer, die früher in den Kolonien tätig waren, benötigten wieder eine sinnvolle Aufgabe. Nach Meinung des Historikers Mathias Kotowski stellte die „Wiederaufnahme des kolonialen Engagements“ ein „Patentrezept“ für Haber dar, das alle Probleme Deutschlands lösen sollte.[3]

Bild: Universitätsarchiv Tübingen, Signatur 126/234.
Bild: Universitätsarchiv Tübingen, Signatur 126/234.

Eduard Haber war Teil der sogenannten Kolonialbewegung in Deutschland. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wünschten vor allem Mitglieder des Großbürgertums, des Adel und hohe Militärs eine erneute koloniale Betätigung Deutschlands. Ihre kolonialrevisionistischen Forderungen fanden im Laufe der Zeit allerdings immer weniger Anklang in der breiten Bevölkerung. Auch die auf Ausgleich bedachte Politik Gustav Stresemanns, die zwar einige Erfolge auf außenpolitischem Gebiet vorweisen konnte, jedoch in Bezug auf Rückgabeforderungen untätig blieb, wurde von der Kolonialbewegung strikt abgelehnt. Dies sorgte nicht nur für eine Abkühlung der Zusammenarbeit, sondern ließ viele Vertreter*innen des Kolonialrevisionismus nach einem neuen politischen Partner suchen. Besonders im Bündnis mit einer bestimmten Partei versprachen sie sich verstärkte Unterstützung bei Arbeiter*innen und der Jugend: der NSDAP.

 

Zunächst schien auch Haber seinen Wunsch nach kolonialer Betätigung Deutschlands in Hitler und der NSDAP erfüllt gesehen zu haben. In ihm lediglich einen „wilhelminische[n] Imperialisten“[4] zu sehen, der jetzt seine Hoffnungen auf Wiederherstellung alter Verhältnisse unter Vorbehalten in Hitler setzte, wäre zu kurz gegriffen. Er unterschrieb mehrere Wahlaufrufe, beteiligte sich trotz seines Alters am Aufbau des „Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps“ in Tübingen und war „Ober-Truppführer“ im Stabe der „Motorstaffel V/55“. Auch Habers Fach an der Universität genoss nach 1933 erhöhte Aufmerksamkeit und erhielt gezielte Förderung. Seine Vorlesungen waren nun als „wesentlicher Teil der politischen Schulung anzusehen“ [5].  Die Bemühungen um seine Person erreichten ihren Höhepunkt nur wenig später: am 1. Oktober 1936 sollte Eduard Haber seinen 70. Geburtstag feiern. Die Universität unternahm große Anstrengungen, ihren „großen Vorzeige-Kolonisten“ zu ehren: da sich eine Ehrendoktorwürde nicht erwirken ließ, ernannte Rektor Friedrich Focke Haber kurzerhand zum Ehrensenator der Universität.

 

Die Stadtverwaltung ging noch einen Schritt weiter, indem sie den Jubilaren im Tübinger Stadtbild verewigte. So wurde Haber Namenspatron für die anfangs erwähnte Straße im damaligen Neubaugebiet Lustnau, nicht weit entfernt von seinem tatsächlichen Wohnort. In seinem Dankschreiben interpretierte der ehemalige Gouverneur die Ehrung als „Bestätigung des kolonialen Verständnisses und des kolonialen Willens der altberühmten Universitätsstadt“[6]. Das Zeugnis dieser kolonialen Gedanken findet sich noch heute an Ort und Stelle. 

 

Ein Beitrag von Lisa Blum

Quellen zu diesem Text

 

 

[1] Gouverneur Haber 70 Jahre alt. In: Tübinger Chronik am 29.09.1936, StAT A150/3275.

[2] Ebd.

[3] Kotowski 1999, S.100.

[4] Gründer 2018, S.269.

[5] Brintzinger 1996, S. 332.

[6] 13.10.1936, Dankschreiben des Gouverneurs i.R. Haber am 6. Oktober.1936, Auszug aus der Niederschrift über die Beratung des Oberbürgermeisters mit den Ratsherrn, StAT A150/3275.

 

Literaturhinweise:

Bechhaus-Gerst, Marianne: „Nie liebt eine Mutter ihr Kind mehr, als wenn es krank ist“. Der Kolonialrevisionismus (1919–1943). In: Bechhaus-Gerst, Marianne/Zeller, Joachim (Hrsg.): Deutschland Postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S.101 – 122.

Daniels, Mario: Auslandskunde an der Universität Tübingen 1918-1945. In: Wiesing, Urban et al. (Hrsg.): Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus (Contubernium 73), Stuttgart 2010, S.351 - 384.

Kotowski, Mathias: Die öffentliche Universität. Veranstaltungskultur der Eberhard-Karls-Universität Tübingen in der Weimarer Republik (Contubernium 49), Stuttgart 1999.

Osterhammel, Jürgen/Jansen, Jan C.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 7. vollst. überarb. und aktualis. Auflage, München 2012.

Wendt, Reinhard: Das Ende der deutschen Südsee. In: Bechhaus-Gerst, Marianne/Zeller, Joachim (Hrsg.): Deutschland Postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 80 – 97.

Marcon, Helmut/Strecker, Heinrich (Hrsg.): 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Leben und Werk der Professoren. Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen und ihre Vorgänger (1817-2002), Stuttgart 2004.

 

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*Bild: Auf Grundlage einer Porträt-Fotografie, nähere Angaben siehe Quellenpapier > Koloniales hierzulande [oder] Lokal hingeschaut > Eduard Haber und der Kolonialrevisionismus: Von Tübingen in die Welt [oder] Von Tübingen in die Welt? Eduard Haber und der Kolonialrevisionismus > Bilder. 


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